Rolling Stone Weekender 2017 – Festivalreview – Tag zwei

 

Der zweite Festival-Tag mit Robert Forster, Die Regierung, Friska Viljor, Benjamin Booker, Spoon, Kevin Morby, Ride, Chuck Ragan und Madness

Das Programm des zweiten Tages beim Rolling Stone Weekender 2017 beginnt früh. Bereits für 12 Uhr ist eine Lesung mit Robert Forster angekündigt, die sich zwar als gar keine Lesung entpuppt, aber als ein Highlight des Weekenders in Erinnerung bleiben wird. Der australische Songwriter hat unlängst von Rolling Stone-Redakteur Maik Brüggemeyer eine ins Deutsche übersetzte Biographie beim Verlag Heyne Encore veröffentlicht. Robert Forster selbst jedoch mag nicht wirklich vorlesen und so bleibt es seinem Übersetzer Brüggemeyer überlassen, ein paar wenige Seiten aus dem Buch Grant & Ich – The Go-Betweens und die Geschichte einer außergewöhnlichen Freundschaft vorzulesen, bevor Forster die Bühne im vollbesetzten Witthüs betritt und den Song „Rock’n’Roll Friend“ an der akustischen Gitarre anstimmt.

Es folgt ein überaus launiges Interview, Maik Brüggemeyer stößt mit seinen Fragen Forster nur an, der sich seinerseits als eloquenter Gesprächspartner entpuppt und einige Anekdoten und Informationen aus seinem Leben mit dem 2006 im Alter von nur 48 Jahren viel zu früh verstorbenen Freundes und Bandkollegen Grant McLennan, diesem ständig im Bett liegenden, Bücher lesenden und tagträumenden Menschen, erzählt. Forster wollte auch keine gewöhnliche Musikerautobiographie schreiben, keine Baby- und sonstige Fotos im Buch sehen, Grant & Ich sollte wesentlich mehr einen Novel-Charakter erhalten (inwieweit es ihm gelungen ist, erfahren Sie demnächst in einer Besprechung bei Sounds & Books).

Die mittägliche Stunde versüßt Forster dem Publikum mit ein paar weiteren Songs wie „Born To A Family“, „Surfing Magazines“ und „Clouds“ und signiert wenig später noch seine Bücher. Dass Robert Forster großartige Musik mit seiner Band The Go-Betweens und als Solo-Künstler gemacht hat, wissen hoffentlich viele Menschen, beim Rolling Stone Weekender 2017 überzeugte der 60-Jährige auch als charmanter Redner. Man sollte einfach mehr The Go-Betweens hören. Und Robert Forsters Buch lesen.

Der 04. November ist eindeutig der interessantere Tag im Angebot des diesjährigen Weekenders, die Termine dicht gedrängt. Der Baltic Saal öffnet um 16.30 Uhr seine Pforten, wo einige Minuten später Die Regierung auftritt. Die Band um den aus Essen stammenden Songwriter Tilman Rossmy hätte natürlich bereits in den frühen 90ern schwer durchstarten müssen, missgünstige Mächte verhinderten jedoch eine steile Karriere in den Charts. Richtig guten deutschen Indie-Pop spielten sie schon damals, dieses Jahr erschien das wunderbare Reunion-Album „Raus“ und es tut so gut Rossmys lakonisch-nachdenklichen Gesang mit Liedern von Die Regierung live zu hören. Sie spielen „Natalie sagt“, „Corinna“, „Charlotte“, „1975“, und ja, ein Musikleben jenseits des Grunge war in den 90ern möglich. Die Regierung erinnert uns beim Weekender für einen Moment daran. Danke dafür.

Den ersten Zelt-Gig bestreitet an diesem Tag die schwedische Formation Friska Viljor. Die Sänger und Gitarristen Daniel Johansson und Joakim Sveningsson tischen in Bandbegleitung das große Besteck auf. Gefühlt folgen hier Indie-Folk-Pop-Hits am laufenden Band, pathetisch, überschwänglich, hymnisch, unbeschwert, mitreißend. „Uhuhuh“- und „Lalala“-Chöre in teils vierfacher Ausführung, Herz, was willst du mehr? Fotografenzeittechnisch bedingt bleibt nicht sehr viel Zeit um den Auftritt von Benjamin Booker im Baltic Saal zu goutieren, aber der Rock’n‘Roll, Soul und Rhythm & Blues des 28-jährigen aus Virginia stammenden Sängers und Gitarristen hat die Power und Leidenschaft, die nachhaltig wirkt, auch nach nur vier gehörten Songs.

Im Zelt wiederum folgt das mit Spannung erwartete Konzert von Spoon. Die amerikanische Band um Sänger Britt Daniel hat im Frühjahr mit Hot Thoughts eins der besten Alben des Jahres herausgebracht und zelebriert ihren State-Of-The-Art-Indie-Rock auf betörende und eindrückliche Weise. Zur Spoon-Musik können auch Intellektuelle tanzen und sich an dem Erfindungsreichtum zwischen Damen Albern und Paul McCartney erfreuen. Ob harmonisch oder verstörend, ob Untergangsszenario oder Dreampop und Hartland-Rock: Spoon wechseln schon mal in einem Song mehrere Genres, Langeweile hat keine Chance. Ob „Do I Have To Talk You In To It“, „Inside Out“, „I Ain’t The One“, „Hot Thoughts“ oder „Can I Sit Next To You“, Spoon machen alles richtig, locken einen aus der Reserve, lassen einen staunen, animieren sie Sinne und geben das wahrscheinlich beste Konzert des Rolling Stone Weekenders 2017 (jedenfalls das interessanteste und anspruchsvollste).

Kevin Morbys neues Album City Music blieb zwar ganz leicht hinter den Erwartungen zurück, aber die Glanzleistung von Singing Saw nur ein Jahr später zu wiederholen, wäre fast vermessen gewesen. Anyway, der Beginn von Morbys Gig im Baltic Saal mit „City Music“, „Crybaby“, „1234“ und „Aboard My Train“ zeigt die Klasse des 29-jährigen Songwriters, dessen neue Songs natürlich immer noch so verdammt herausragend sind, um andere Musiker vor Neid erblassen zu lassen. Mehr Musik von Kevin Morby hören bereichert das Leben, ob live beim Weekender, oder zu Hause auf Platte und CD. Dass parallel mit Isolation Berlin eine aufregende, in diesem Magazin bereits hochgelobte Band auftrat ist Schicksal und nicht zu ändern. Man muss sich entscheiden, hätte aber zu gerne die Hauptstadtband wieder mal live erlebt. Next time.

Nach nur knapp vier Morby-Songs wartet im Zelt die Gruppe Ride. Das Comeback des Jahres geht zweifellos an die Britpop-Shoegaze-Band aus Oxford, die mit Weather Diaries das erste Bandalbum seit über 20 Jahren einspielte. Der zwischen Sixties-Psychedelic-Pop und 90er-Jahre-Schule britischer Prägung oszillierende Pop-Rock funktioniert nach der langen Auszeit auch live sehr gut, für Freunde von spielerischen Gitarrenwänden ein Hochgenuss. Eine lohnenswerte Reunion, die auch vom Ostsee-Weekender-Publikum für Songs wie „Lannoy Point“, „Charm Assault“ oder „Cali“ honoriert wird. Mit seiner mächtigen Raueisenstimme und dem dazugehörigen Folk-Punk-Rock’n’Roll hat Chuck Ragan bereits 2010, bei der zweiten Auflage des Rolling Stone Weekenders, die Besucher überzeugt und das tut der in Kalifornien lebenden Songwriter auch sieben Jahre später. Der Bruder im Geiste von The Gaslight Anthem-Säger Brian Fallon ist ein harter Hemdsärmel-Rock’n’Roller, aber sind nicht eben jene am Ende häufig tiefste Romantiker? Eben.

Zu einer Art Best-Of-Programm entwickelt sich zum Abschluss des Musikwochenendes die Setlist der Headliner-Band Madness. Im nunmehr proppenvollen Zelt befinden sich fast alle von Sänger Graham McPherson, alias Scuggs, und seinen Kollegen gespielten Songs auf der am 17.11. 2017 erscheinenden Doppel-CD Full House – The Very Best Of Madness. Der Opener „One Step Beyond“, „Wings Of A Dove“, „My Girl“, „House Of Love“, „The Prince“ und natürlich „Our House“, das zum lauten und seligen Mitsingen animiert. Große Tanz- und Partylaune am Ende eines ereignisreichen Musiktages.

(Fotos von Robert Forster by Julia Schwendner)

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