von Gérard Otremba
Midlake und Teenage Fanclub beim Rolling Stone Weekender 2010
Der Beginn auf der Haupt- und Zeltbühne blieb am Freitag der amerikanischen Formation Midlake vorbehalten. Die siebenköpfige Gruppe aus Texas spielte einen teils verwunschenen, aber immer herrlich melodiösen Indie-Folk-Rock-Pop zum Abheben. Zu den Gitarrenparts mischten sich hin und wieder Flötentöne, Musik direkt aus dem Wald. Die herzzerreißende Ballade „Van Occupanther“, das hitverdächtige „Roscoe“ sowie das vorwärtstreibende „Head Home“ ragten aus dem gelungene Kanon ihrer beider Alben „The Trails Of Van Occupanther“ und „The Courage Of Others“ heraus. Ein erstes absolutes Highlight.
Das zweite setzte im Anschluss die schottische Band Teenage Fanclub. Die Glasgower traten in ihren frühen Jahren sogar mal als Support für Nirvana in den USA auf. Mit deren Grunge-Rock hat die Musik des Teenage Fanclubs nicht viel gemein. Es ist feinster Gitarrenpop mit selbstverliebten Melodien und sich einschmeichelnden Harmonien, wie man sie in den 60ern von den Byrds kannte. Wechselnde Leadvocals, mehrstimmige Chöre, hier jubilierte einfach alles. Die Herren Norman Blake, Gerard Love und Raymond McGinley komponieren einfach perfekte Popsongs und für knapp eineinhalb Stunden konnten sich die Weekender-Besucher diesem Wohlklang ergeben.
The National und John Grant
In der Seelenlage wesentlich dunkler geben sich The National. Sänger Matt Berninger nuschelt sich in bester Stuart Staples- (Tindersticks) Manier durch seine Texte, seine Stimmlage beschwört Dämonen, die Gitarristen schrammeln ihre Instrumente bis zum Anschlag und doch bleibt die Grundstimmung düster und gemahnt immer mehr an Joy Division. Aber: The National spielten ein mitreißendes Konzert voller Inbrunst und nur das zählt am Ende.
Im Rondell, der kleinsten Bühne am Veranstaltungsort, gastierte um 23 Uhr der amerikanische Songwriter John Grant. Seit seines Studienaufenthaltes Anfang der 90er ist Deutschland sowas wie seine zweite Heimat geworden. Jedenfalls parliert er im akzentfreien Deutsch und beherrscht auch noch einige Dialekte. Seiner ehemaligen Band The Czars blieb der Erfolg verwehrt, aber vielleicht klappt es demnächst als Solokünstler, Songs wie „Sigourney Weaver“ oder „Where Dreams Go To Die“ zeugen von seiner hohen Songwriterkunst und gehen unter die Haut.
Element Of Crime
Den Headliner des ersten Tages gab die deutsche Band Element Of Crime. Gewohnt souverän führte Sven Regener seine Elements durchs Programm, mit jeder Menge „vielen Dank“- und „Romantik“-Rufen. Wie üblich gelang es den Berlinern, melancholische Balladen („Im Himmel ist kein Platz mehr für uns zwei“, „Bitte bleib bei mir“) mit flotten Rock`n`Roll-Nummern wie „Kopf aus dem Fenster“, „Immer unter Strom“ oder „Immer da wo du bist bin ich nie“ zu kreuzen. Die Songs des letzten, ebensolchen betitelten Albums standen eindeutig im Mittelpunkt des Gigs. Doch trotz aller mit 25-jähriger Bühnenerfahrung verständlicher Routine, überraschen Element Of Crime dann doch wieder. Dass Klassiker wie „Weißes Papier“ auf der Setlist auftauchen gehört zum Standard. „Vier Stunden vor Elbe“ gab es im Februar auf der Deutschlandtour erfreulicherweise nach langer Zeit auch mal wieder zu hören. Aber als letzte Zugabe dann noch mit „Über Nacht“ einen draufzusetzen war natürlich überragend, gehört der Song zweifellos zu Sven Regeners poetischsten Liedern. Respekt.
Jaill und Airship
Bereits kurz vor 16 Uhr, also zu vergleichsweise frühen Stunde, eröffnete im Baltic Festsaal die dreiköpfige Band Jaill den musikalischen Reigen des zweiten Tages. Die aus Milwaukee stammende Band spielte herzerfrischenden Post-Punk und Garage-Pop mit psychedelischem Einschlag. Irgendwo zwischen den Ramones und den Violent Femmes anzusiedeln. Sehr launige und zum Tanzen animierende Zweieinhalbminutensongs.
Anschließend, im proppenvollen Rondell, wurden die Besucher Zeugen einer kleinen Sternstunde des Wochenendes. Die überaus jungen Musiker der englischen Gruppe Airship knallten den Besuchern einige vorzügliche Britpopnummern vor den Latz, die wahrscheinlich sogar Liam Gallagher gefallen hätten. Die vier Jungs aus Manchester beherrschen die Kunst, laut zu sein, wo Lautstärke nötig und melodiebewußt, wenn Zurückhaltung angebracht ist. Starke Songs, die den besten von Placebo das Wasser reichen können. Perhaps the next big thing.
Chuck Ragan und John Hiatt
Wieder zurück im Baltic Festsaal schrie sich bereits Chuck Ragan die Kehle wund. Der innbrünstige Vortrag des Amerikaners, der sich auf der akustischen Gitarre und Mundharmonika begleitet und von einem Geiger assistiert wird, geht trotz aller Vehemenz so unendlich tief rein und trifft den Hörer mitten ins Mark. Er arbeitet und schwitzt Rock’n’Roll und trifft doch jeden feingliedrigen Nerv des geneigten Beobachters. Gänsehaut und Tränen. Hier muss es demnächst einfach krachen. Vielleicht wird er kein nächster Springsteen, aber vielleicht die kleinere Ausgabe. Der Bruder im Geiste ist er schon. Das Zeug, wenigstens den Bekanntheitsgrad eines John Hiatt zu erreichen hat er allemal.
Dieser wiederum beglückte sein deutsches Publikum in der Zeltbühne mit einem perfekt getimten Gig. Klassischer Roots-Rock, vom Blues und Country infiziert. Das mag sehr oldschool klingen, ist in Wahrheit aber einfach nur gute populäre Musik. Natürlich merkt man ihm die über 30-jährige Bühnenpräsenz an. Ein alter Hase, der alles im Griff hat und den Spaß an seiner Arbeit nicht verloren hat. Prägnante Songs wie „Perfectly Good Guitar“, „Cry Love“ und „Little Thing Called Love“ untermauern seinen Status eines ausgefuchsten Songwriters, der sich stilsicher in der Dylan-Young-Nische mit Nashville-Einschlag ein zu Hause aufgebaut hat. Ein ganz wunderbarer Auftritt.
Tindersticks und The Gaslight Anthem
Todtraurig ging es dann wiederum im Baltic Festsaal zu, wo die Chefmelancholiker der Tindersticks auftraten. Man wird einfach das Gefühl nicht los, Stuart Staples versammelt den gesamten Weltschmerz in seinem verhuscht-genuschelten Sprechgesang. Dazu diese bittersüßen und zutiefst melodramatischen Melodien, einfach ergreifend und verdammt nah am Wasser gebaut . Natürlich spielen sie auch Uptempo-Popnummern, aber die depressive und doch so wunderschöne Melancholie bleibt. Und live werden die Tindersticks immer brillanter. Und wem das alles viel zu gefühlsduselig war, der ließ sich zum Abschluss von The Gaslight Anthem aus der Zeltbühne fegen.