Rolling Stone Beach 2021 – Festivalreview

Rolling Stone Beach Festival 2021 Thees Uhlmann by Gérard Otremba

Mit 3G-Regelung zur alten Normalität: Das Rolling Stone Beach Festival 2021 u.a. mit Element Of Crime, Tocotronic, Blumfeld, Die Sterne und Friska Viljor

Nach einjähriger coronabedingter Pause fand am 05.+06.11.2021 wieder das Rolling Stone Beach Festival am Weissenhäuser Strand an der Ostsee statt. Die Auslegung der 3G-Regelung in Schleswig-Holstein führt ein Stück weit zur alten Normalität. Im nördlichsten Bundesland der Republik entfällt die Maskenpflicht bei einem Event der Geimpften, Genesenen und Getesteten, und die breite Masse genießt die wiedergewonnene Freiheit, nur relativ wenige Besucher folgen der Empfehlung, einen Nasen-Mundschutz bei höherem Menschenaufkommen zu tragen. Verständlich, Live-Musik nach so langer Zeit endlich wieder ohne Maske genießen zu wollen und zu können.

Bluegrass-Folk von The Dead South und eine Stipvisite bei Die Regierung

Der Auftakt beim Rolling Stone Beach Festival 2021 bleibt The Dead South vorbehalten. Das Quartett aus Regina in der kanadischen Provinz Saskatchewan sorgt mit seiner zwischen galoppierendem Bluegrass-Folk-Rock und schwermütig-melancholischer Country-Romantik changierenden Musik für erste Euphorieschübe im bereits voll gefüllten Zelt. The Dead South genießen als erste Band des Festivals ohne Konkurrenz an den anderen Locations die breite Aufmerksamkeit. Aber was die Herren mit Banjo, Mandoline, akustischer Gitarre und Standbass kreieren, ist schon aller Ehren wert (z.B. Platz 1 der US-Bluegrass-Charts mit dem 2019 veröffentlichten Album „Sugar & Joy“).

Überschneidende Auftrittszeiten bei Festivals machen es einem natürlich häufig nicht ganz leicht in der Entscheidungsfindung. So sind am Samstag um 18:45 sowohl Die Regierung als aus David Keenan angesetzt. Ich gebe dem Alter den Vortritt und hoffe dem irischen Musiker, dessen unlängst erschienenes Album „What Then?“ wir an dieser Stelle rezensierten, demnächst mal bei einem Konzert in Hamburg zu begegnen. Aber der dichte Zeitplan lässt auch nur ein Stipvisite bei der Regierung im Baltic Festsaal zu, um endlich mal wieder Tilman Rossmy & Co. live zu erleben. Um jedoch Friska Viljor im Zelt fotografieren zu können, sind nicht mehr als vier, fünf Songs von der Regierung drin, so dass der Weg nach „Wer bin ich“ und „Tiefe tiefe Liebe“ aus dem aktuellen Album „Da“ schon wieder ins benachbarte Zelt führt.

Hymnisches aus Schweden, Ruhiges aus Hamburg

Dort beschäftigt sich jedoch die schwedische Indie-Rock-Pop-Band Friska Viljor um 19.15 Uhr noch mit dem Soundcheck und beginnt ihren Gig ein paar Minuten später. Das Quintett um die beiden Gründungsmitglieder Daniel Johansson und Joakim Sveningsson legt allerdings sofort mit seinem Über-Hit „On And On“ los, ein strategisch überaus gelungener Coup, bringen die Indie-Rocker doch sofortige Begeisterung ins Publikum. Weitere mitreißende Hymnen mit zahlreichen „Lalala“-Chören (Lalala-Chöre sind häufig für catchy Songs unausweichlich, und das ist gut so) folgen und stoßen eine Woge der Euphorie an. Dass ausgerechnet beim ruhigsten Song ein Feedback kurz die Atmosphäre stört, nun, shit happens.

Ein per se ruhigeres Ambiente ist beim anschließenden Konzert von Niels Frevert zu erwarten. Der Hamburger Songwriter betritt mit seiner Band auch pünktlich die Bühne des Balticsaals, eine technische Störung verhindert indes den Auftittsbeginn. Man verbringt die Wartezeit im Fotograben mit einem überaus netten Plausch mit der Fotografin des Rolling Stone, bevor es endlich mit „Leguane“ losgeht. Und weil wenige Minuten später Element Of Crime im Zelt auf dem Programm stehen, bleibt das Live-Vergnügen mit Frevert leider ein viel zu kurzes. Die Eleganz seines Songwriting zeigt sich auch mit zwei weiteren Liedern („Wind im Haar“, „Baukran“) und u.a. auf seinem letzten Album „Putzlicht“. Mehr als die obligatorischen drei Songs für Fotografen sind aufgrund der Technik-Panne also nicht drin, um noch rechtzeitig die Fototätigkeit bei Element Of Crime aufzunehmen.

Element Of Crime, Blumfeld und Thees Uhlmann beim Rolling Stone Beach 2021

Die Berliner Formation um Sänger, Texter, Gitarrist und Trompeter Sven Regener bringt zum wiederholten Mal die bekannte Melancholie zum Rolling Stone Beach (früher Weekender) Festival. „Wenn der Morgen graut“, „Am ersten Sonntag nach dem Weltuntergang“, „Weil es schön war“, „Am Ende denke ich immer nur an dich“ und „Weißes Papier“ sind Garanten für diese Stimmungslage. Regener unterhält die Fans mit gewohnt launigen Ansagen und das Ergebnis des Zweitligaspiels zwischen Nürnberg und Bremen (1:2) erfahren wir ebenfalls. Es ist mir auch nach 25 Jahren, in denen ich Konzerte von Element Of Crime verfolge, immer wieder ein großes Vergnügen.

Drüben im Baltic warten anschließend dann auch schon Blumfeld. Das Quartett um Sänger und Gitarrist Jochen Distelmeyer ist gut drauf, einfach so. Mit diesem Song („Einfach so“) tauchen sie ab in der eigene Vergangenheit und lassen mit „Von der Unmöglichkeit ‚Nein‘ zu sagen“ und „Viel zu früh und immer wieder: Liebeslieder“ zwei Songs vom Debüt-Album „Ich-Maschine“ folgen. Erwecken also die ganz frühen Zeiten und glänzen auch beim wunderschönen „Weil es Liebe ist“. Auch Indie-Rocker sind manchmal schlicht Romantiker. Gerne wäre ich bis zum Ende geblieben, aber die Fotozeit beim letzten Konzert des ersten Tages des Rolling Stone Beach 2021 Festivals naht. Also wieder zurück zur größten Bühne des Events.

Dort hat es für Bruce Springsteeen & The E Street Band diesmal nicht gereicht, aber Thees Uhlmann erledigt seine Profession mit seiner sechsköpfigen Band ähnlich mitreißend wie der „Boss“. Vom Opener „Fünf Jahre nicht gesungen“ über „Das Mädchen von Kasse 2“ hin zu „&Jay-Z singt uns ein Lied“ sowie „Zum Laichen und Sterben ziehen die Lachse den Fluss hinauf“ gerät der Auftritt zu einem Fest. Im Zugabenset noch zwei Tomte-Songs und mit dem wehmütigen „Ein Satellit sendet leise“ entlässt uns der Wahl-Berliner in die Nacht am Weissenhäuser Strand.

Die Lesungen beim Rolling Stone Beach 2021

Wie es sich für das Online-Magazin Sounds & Books gehört – wenn schon im Preis inbegriffen – beginnt der zweite Tag beim Rolling Stone Beach 2021 mit einer Lesung. Zumal die von Thorsten Nagelschmidt, dessen Roman „Arbeit“ ich an dieser Stelle rezensiert habe. Nagelschmidt, auch als Sänger der Indie-Band Muff Potter bekannt, erzählt zunächst über das erlebte Für und Wider einer Buchveröffentlichung in einer Lockdown-Phase zu Coronazeiten im letzten Jahr und dass er nie gedacht hätte, noch jemals so viele Lesungen zu diesem Buch durchführen zu können, denn bei Rolling Stone Beach 2021 ist er dann doch bei bei vierzigsten angekommen.

Die Figuren seiner vorgelesenen Kapitel stellt Nagelschmidt explizit vor und beweist schon hier sein humoreske Ader, die in einigen, von ihm mit Inbrunst vorgetragenen Passagen ebenfalls zum Tragen kommen. Eine Performance, die zahlreiche Besucher anschließend zu einem Buchkauf animiert. In Hamburg liest Thorsten Nagelschmidt am 24.11 im Uebel & gefährlich. Empfehlenswert, Buch und Lesung.

Ähnlich empfehlenswert auch das ebenfalls bei Sounds & Books vorgestellte Buch über Jim Morrison von Rolling-Stone-Redakteurin Birgit Fuß, die nach Selbstauskunft wahrscheinlich Musikjournalistin geworden ist, um alle anderen Künstler zu interviewen, wenn Jim Morrison nun schon mal ein Jahr vor ihrer Geburt gestorben ist. Fuß beschäftigt sich seit ihrer Teenagerzeit mit dem Wirken des charismatischen Rockidols und betont vor ihrer Lesung, lieber zu schreiben, als vorzulesen. Aber bis auf wenige und völlig natürliche Verhaspler präsentiert sie die ausgewählten Kapitel auf überaus charmante Art.

Cassandra Jenkins und Flowerpornoes

Zu einer Entdeckung gerät der erste Musik-Act des Samstags. Im Baltic Festsaal spielt Cassandra Jenkins mit ihrer Band leisen und zarten Indie-Folk. Die New Yorkerin haucht und flüstert die Texte zu berührenden, unter die Haut gehenden Klängen. Ein fragiler, filigraner und poetischer Sound einer Künstlerin, die ab sofort auch bei Sounds & Books in den Fokus gerät.

Manchmal aber passt es nicht wirklich mit einer Band auf einem Festival. So erging es mir mit dem Auftritt der Breeders beim damals noch als Weekender bekannten Festival 2018, nun mit dem Konzert von Flowerpornoes. So sehr ich Tom Liwa als Songwriter schätze und die aktuelle Flowerpornoes-Platte „Morgenstimmung“ mich zu begeistern weiß, dem Gig im Zelt fehlt das Flair. Vielleicht hätte man Die Sterne auf der großen Zeltbühne auftreten lassen sollen und die Flowerpornoes im Baltic Festsaal und der Zugang wäre ein besserer gewesen. Die Solo-Darbietung des Beatles-Songs „Dear Prudence“ mit Maske als Opener mag man als Schrulligkeit Liwas witzig finden, danach verlor sich die gute Flowerpornoes-Musik im weiten und auch nicht gut gefüllten Zelt. Schade.

Die Sterne und The Undertones

Die Sterne hingegen bringen den vollbesetzten Baltic-Saal zum Schwingen. Das Hamburger Quartett um Frontmann Frank Spilker spielt zahlreiche Songs ihres im Februar 2020 erschienenen, selbstbetitelten Albums, dem eine zeitnahe Tour verwehrt blieb. Nun aber endlich groovt es auch am Weissenhäuser Strand mit Indie-Disco-Fegern wie „Der Palast ist Leer“, „Du musst gar nix“ und „Der Sommer in die Stadt wird fahren“. Der Refrain von „Wir kämen wieder vor“ klingst spätestens nach diesem Gig wie ein alter Sterne-Klassiker. Die haben Die Sterne mit u.a. „Von allen Gedanken schätze ich doch am meisten die Interessanten“, „Universal Tellerwäscher“ und selbstverständlich „Was hat dich bloß so ruiniert“ ebenfalls im Programm. Hätte man gerne noch länger gehört, aber nach 75 Minuten heißt es festivalbedingt Abschied nehmen von den Sternen.

Zu diesem Zeitpunkt hat Sophie Hunger – die Schweizer Antwort auf Leslie Feist – längst das Publikum im Zelt in ihren Bann geschlagen. Mein Abtauchen in ihre Live-Wunderwert ist nur von kurzer Dauer (Die Sterne genießen in diesem Fall ein gewisses Heimrecht), aber wir berichteten ja über das Konzert Sophie Hungers im Hamburger Stadtpark. Als weiteres Highlight des Rolling Stone Beach 2021 entpuppt sich der entfesselte Festival-Beitrag von The Undertones. Die nordirische Band um den sympathischen Rampensau-Frontmann Paul McLoone – der seit der Reunion 1999 Gründungsmitglied Feargal Sharkey als Sänger ersetzt – bringt das Publikum im Zelt zum Toben. Kurzweiliger Punk-Rock-Pop, der in die Beine fährt und einen 20 Jahre jünger fühlen lässt. Und ihren Smash-Hit „Teenage Kicks“ lassen die unverwüstlichen Undertones gleich zweimal krachen. Herrlich!

Tocotronic beschließen das Rolling Stone Beach 2021

Ihre Jugend und Frühzeit feiert zum Abschluss des Rolling Stone Beach 2021 die Hamburg-Berliner-Band Tocotronic. Auf dem Headliner-Set steht das Programm „The Hamburg Years“, also bis zum Jahr 2003 entstandene Songs. Alte Klassiker im immer jungen Gewand, von „Freiburg“ und „Drüben auf dem Hügel“, über „Michael Ende, du hast mein Leben zerstört“ und „Ich verabscheue euch wegen eurer Kleinkunst zutiefst“, bis „Let There Be Rock“, This Boy Is Tocotronic“ und „Neues vom Trickser“. Eingefleischten Tocotronic-Fans der frühen Stunde geht da das Herz auf. Im Zugabenteil mit „Jugend ohne Gott gegen Faschismus“ und „Ich tauche auf“ der Ausblick auf das im Januar erscheinende neue Album „Nie wieder Krieg“. Und weil das alles so schön ist, kommen Dirk von Lowtzow, Jan Müller, Arne Zank und Rick McPhail zu einer zweiten Zugabe zurück und beenden das Festival mit „Letztes Jahr im Sommer“. Grandios.

Obwohl aufgrund der allgemeinen Lage einige internationale Acts (Modest Mouse, Sleaford Mods, Warpaint, Lucy Dacus) absagen mussten, haben die Veranstalter erneut ein großartiges Line-up zusammengestellt. Schön, dass dieses Indoor-Festival wieder stattfindet.

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(Beitragsbild: Thees Uhlmann by Gérard Otremba)

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