Die Hamburger Indie-Dream-Pop-Band Roller Derby im Interview mit Sounds & Books über ihr Debütalbum „When The Night Comes“
Interview von Gérard Otremba
Als Roller Derby im November 2020 mit ihrer Single „I Wish“ erstmals in Erscheinung traten, hatten sie mich sofort mit ihrem Indie-Dream-Pop um den Finger gewickelt. Es folgten weitere schöne Songs wie „Flying High“, „Can’t See You“ oder „Whatever Works“, die wir alle als Song des Tages vorgestellt haben. Nun steht das Roller-Derby-Debütalbum „When The Night Comes“ kurz vor der Veröffentlichung. Zu diesem Anlass traf sich Sounds & Books mit den beiden 33-jährigen Musikern Philine Meyer und Manuel Romera Soria, die sich 2015 an der Lüneburger Universität kennengelernt haben, zu einem Interview.
Release-Party in der Hanseplatte
Philine und Manuel, am 28.02. erscheint eurer Debütalbum „When The Night Comes“. Überwiegt die Vorfreude oder die Nervosität?
Philine Meyer: Beides. Nervosität ein wenig, weil bis dahin alles fertig sein muss. Aber die Vorfreunde überwiegt.
Wisst ihr schon, wie ihr den Veröffentlichungstag verbringen werdet? Und was macht ihr in der Zeit bis zum 28.02.?
Philine: Gute Frage. Ja, wir planen am 28.02. in der Hanseplatte, einem kleinen lokalen Hamburger Plattenladen, eine Release-Party anlässlich des Debütalbums, wo wir die Songs dann live spielen werden. Das Album kann man dann dort auch gleich kaufen. Und bis dahin müssen wir noch viele Mails beantworten und proben.
Manuel Romero Soria: Wir freuen uns einfach darauf, das Album live spielen zu können, auch auf die Proben, die jetzt anstehen. Wir erledigen noch einige organisatorische Sachen, weil wir das Album als Self-Release veröffentlichen, aber auch die machen uns Spaß. So weit haben wir alles gut im Blick, sind gut vorbereitet und können uns auf den Release freuen.
Vier Jahre bis zum Roller-Derby-Debütalbum
Vor über vier Jahren, im November 2020, ist mit „I Wish“ eure Debütsingle erschienen. Danach folgten weitere schöne Singles, die für ein Album gereicht hätten. Was hat euch aufgehalten? Weshalb erst jetzt das Debütalbum?
Philine: Wir hatten vorher schon zehn Singles veröffentlicht, wollten uns aber für das Album Zeit lassen, um ein zusammenhängendes Album zu haben. Wir wollten, dass die Songs aus einem Guss sind, aus einer Ära, aus der gleichen Stimmung heraus geschrieben. Das hat dann etwas gedauert, um zehn neue Songs auszuarrangieren und zu produzieren.
Manuel: Wir haben das Debütalbum nicht absichtlich aufgeschoben. Es war ein natürlicher Prozess bei uns. Wir wollten weg von diesem Singles-Gedanken und hin zu etwas Zusammenhängendem. Wir wollten uns gezielt Zeit lassen und einfach Musik machen und Songs auswählen, die ein Album ergeben. Ich kann das verstehen, wenn man direkt mit einem Album anfängt, aber das hat sich bei uns automatisch so ergeben.
Hättet ihr trotzdem auch „ältere“ Songs auf der Platte gehabt, oder hätten die das Konzept doch eher gestört?
Philine: Wir hatten vor so eineinhalb Jahren mal überlegt, vielleicht „Starry-Eyed“ in einer anderen Version mit draufzunehmen. Aber als wir dann die neuen Songs geschrieben haben, waren so viele schöne dabei, dass wir nicht das Gefühl hatten, noch auf älteres Material zurückgreifen zu müssen. Die neuen Songs sind in einem neuen Schwung entstanden, das passte sehr gut so.
Das Debütalbum im Self-Release
Wie kam es zur Entscheidung, das Album nicht auf einem Label zu veröffentlichen?
Philine: Tatsächlich haben wir nicht unbedingt daran gedacht, das Album allein herauszubringen. Wir hätten gerne ein Label gehabt, wenn es ein gutes Angebot gegeben hätte.
Manuel: Uns ist die internationale Vermarktung sehr wichtig, was mit einem deutschen Label nicht so einfach umzusetzen ist. Weshalb wir den Schritt gegangen sind, unabhängig zu bleiben. Zumal man mit Labels langfristig plant und wir es uns offen lassen wollten, wie es nach dem Album weitergeht. Wir mögen auch den DIY-Charakter gerne und wir mögen es auch, die Marketing- und Management-Aufgaben selbst zu übernehmen.
Ist aber natürlich auch viel Arbeit.
Philine: Ja, stimmt. Aber man lernt sehr viel dazu. Die ganzen Zusammenhänge in der Musikwelt und je mehr man weiß, desto besser ist es, um sich im Musikdschungel zurechtzufinden.
Manuel: Wir haben aber schon einen tollen Digitaltvertrieb und wir arbeiten mit Mari zusammen, die in London für uns die PR für UK macht und dort Konzerte für uns organisiert. Und mit unserem Booking in Hmaburg haben wir insgesamt ein tolles Team um uns herum.
Philine: Die klassische Label-Arbeit machen wir aber selbst, jedenfalls, das, was in unserer Macht steht.
Keine Rollenverteilung bei Roller Derby
Gibt es bei euch eine Rollenverteilung beim Songschreiben bezüglich Texte und Musik?
Philine: Es gibt keine klassische Rollenverteilung, wir machen schon alles zusammen. Aber da ich singe, kommen die Texte erst mal von mir. Bevor es in die finale Aufnahme geht, schauen wir, wo wir noch was verbessern können.
Manuel: Oder wo was fehlt. Das machen wir schon zusammen. Es ist alles ein gemeinsamer Prozess, aber die ersten Texte kommen von Philine, ganz natürlich aus ihr heraus. Es ist auch das, was uns auszeichnet und das wollen wir unbedingt so beibehalten.
Wann entscheidet es sich, in welche Richtung sich ein Song entwickelt? Mehr Indie-Pop, mehr Dream-Pop oder mehr New Wave?
Manuel: Das ist häufig stimmungsabhängig.
Philine: Es ist selten so, dass ein Song sich komplett im Genre ändert, wenn wir ihn wieder anfassen. Das steckt dann meistens von Anfang an schon in ihm drin.
Die Genre-Findung bei Roller Derby
Wie kam es überhaupt, dass ihr euch das Indie-Dream-Pop-Genre ausgesucht habt?
Philine: Das hat sich einfach so entwickelt.
Manuel: Das Dream-Pop-Genre kannten wir vorher gar nicht unbedingt. Ist einfach so passiert. Das hatte mit unseren Instrumentarium und der damaligen Stimmung zu tun. Es passte gut zu uns, die Sounds gefielen uns und es passte zu Philines Stimme. Später sagte man uns, das klinge wir Alvvays oder Beach House.
Philine: Nur kannten wir die Bands damals noch gar nicht.
Wir kam es zum Bandnamen, den ich aus dem Sportbereich kenne?
Manuel: Einfach Brainstorming, Namen überlegt und gesammelt und Roller Derby ist dann von der Liste übrig geblieben. Es ist ein griffiger Name, der hängen bleibt und ein cooler Bandname dazu. Erst danach haben wir recherchiert und konnten uns mit der feministischen Sportart gut identifizieren.
Inspirationsquellen
Was hört ihr privat und was inspiriert euch zu den Songs?
Manuel: Als wir uns gegründet haben eher US-Indie-Garage-Rock, jetzt durchaus auch andere Sachen.
Philine: Verschiedenes. Angel Olsen ist eine von mir sehr geschätzte Künstlerin, die mich beeinflusst hat, weil sie sich durch verschiedene Genres durchschlängelt und ihre Stimme überall so gut einsetzen kann. Letztes Jahr habe ich Future Islands für mich entdeckt. Wir hören auch The Smiths und The Cure. Meistens ist es Musik aus den USA und aus England.
Und was inspiriert euch bei den Texten?
Philine: Es sind oft abstrakte Situationen, die einen inspirieren. Und in den Texten steckt sehr viel Interpretationsspielraum. Unsere Texte sind nicht so sehr spezifisch wie bei anderen. Die Band Alvvays ist ein Beispiel für solche Texte, die Mikrosituationen mit speziellen Wörtern beschreiben. Bei uns ist eher das Gegenteil der Fall. Jeder kann das hineininterpretieren, was ihn betrifft. Die Themen sind oft Liebe und Beziehungskonstellationen, Verbundenheit und Freundschaft, aber wir schreiben selten über spezifische Themen, es ist eher eine Stimmungswelt.
Manuel: Zumal die Texte nach der Musik entstehen, das ist ein großer Unterschied und ein ganz anderer Prozess, wenn man sich von unseren Sounds beeinflussen lässt, was die Wörter betrifft.
Philine: Ich achte eher darauf, dass es wohlklingend ist, dass sich die Wörter in den Melodiefluss einschmiegen. Habe aber im Hinterkopf ein Thema, sonst würden mir die Wörter nicht einfallen.
Wie schwierig ist das?
Philine: Bei dem Album war es dann bei zehn Songs, die alle unterschiedlich sind, mit der Fülle der Texte schon auch schwierig.
Manuel: Wobei gut 70-80 Prozent der Texte schon beim Songwriting ganz natürlich von Philine kamen und nur die letzten paar Prozent waren anstrengend.
Philine: Wenn man vielleicht noch eine zweite Strophe braucht, oder es alles richtig machen will und noch etwas umdichten muss. Wenn man es auf den letzten Metern richtig toll machen will, das ist dann manchmal schwierig. Aber nicht bei jedem Song. Bei „Lights Out“ ist der Text gefühlt vom ersten Demo, auch bei „Last Night“ kam alles aus einem Fluss.
Wann ist für euch ein Song perfekt? Sofern man von perfekt sprechen kann.
Manuel: Ich denke, das ist nicht erreichbar. Man muss sich annähern und dann ab einem gewissen Punkt auch zufrieden sein. Es geht dann viel um Feinheiten.
Philine: Es hilft dann, mit anderen Leuten zu arbeiten. Wenn Moses (Moses Schneider, Produzent, die Redaktion), sagt, das ist ein perfekter Take, dann ist das für uns ein Signal, das es so richtig ist. Moses hat uns sehr viel mitgegeben bei der Produktion.
Von romantischer Musik und Karriere-Highlights
Was bedeutet euch eure Musik?
Philine: Sehr viel Schönes. Es ist ein Ort, eine Gelegenheit, sich auf ganz andere Dinge zu konzentrieren und seine Gefühle ausdrücken zu können. Was einem musikalisch gut gefällt, erschaffen zu können, das ist schon etwas sehr Schönes.
Manuel: Schwer zu beantworten. Es ist ein schöner Beitrag, dem man der Welt mitgeben kann. Wenn man positives Feedback erhält und wenn man mit der Musik eine Connection mit anderen Menschen herstellt und aufbaut, die ähnlich empfinden. Musik die universell gehört wird, das motiviert mich schon, die Musik weiterzuführen.
Würdet ihr eure Musik mitunter als romantisch bezeichnen?
Philine: Ja, das ist nicht verkehrt. Nicht bei jedem Song, aber wenn ich singe, lege ich schon sehr viel Gefühl rein. Insofern würde ich das so unterschreiben. Es liegt auch immer sehr viel Wärme in unseren Songs.
Manuel: Es ist auch ein ruhiges und in sich gekehrtes Album, auf dem sich keine Instrumente in den Vordergrund spielen. Keines, das um Aufmerksamkeit ringt und dadurch ein sehr persönliches und genau das, was wir ausdrücken wollen.
Ihr habt im Ausland gespielt und u.a. auch beim Reeperbahn-Festival. Was sind denn die Highlights in eurer bisherigen Karriere?
Manuel: Karriere- und Live-Highlights würde ich da eigentlich trennen. Klar sind Austin und Great Escape Karriere-Stationen, die man durchläuft und große Festivals, auf denen man spielen sollte, wichtig. Aber für uns sind die eigenen Konzerte in dunkler Clubatmosphäre vor unseren Fans die Highlights.
Philine: Dockville war sicherlich die größte Bühne, die wir bisher hatten. Aber in London haben wir letztes Jahr ein Konzert vor gut 200 Leuten gespielt, die teilweise unsere Texte mitsingen konnten. Bei „Only You“ ging der Bass los und die Leute reagierten schon, weil sie den Song erkannten. Das habe ich so noch nie erlebt, das war schon etwas sehr Besonderes. Es gibt immer mal Momente, die sich als Highlight entpuppen.
Manuel: Den internationalen Ansatz verfolgen wir von Anfang an. Der wurde durch Austin und Brighton im zweiten Karriere-Jahr sicherlich angeschoben. Wo das Potential erkannt wird und es einen auch motiviert, weiter dranzubleiben.
Die anstehende Roller-Derby-Tour
Habt ihr euch schon Gedanken gemacht, welche älteren Songs auf der Setlist eurer Konzerte stehen werden? Für alle Songs wird die Konzertzeit wohl nicht reichen.
Philine: Für alle wird es nicht reichen. Aber einige Songs wie „Starry-Eyed“ und „Always On My Mind“ sind gesetzt, die spielen wir auf jeden Fall.
Manuel: Wir haben jetzt 20 Songs und werden uns wohl auf 15 reduzieren. Hängt jetzt davon ab, ob wir das komplette Album spielen werden, worauf wir schon Lust haben. Das hätten die Songs verdient. Und bei den älteren Songs müssen wir mal schauen, wie die Proben verlaufen, wie wir das in Quartett-Format umsetzen und vielleicht an einigen Stellen live anders interpretieren.
Was erwartet ihr von eurer Tour?
Manuel: Die Tour ist im Prinzip der Höhepunkt einer seit Mai 2024 laufenden Marketingkampagne für das Album, seit der ersten Vorabsingle „Dreams“.
Philine: Wir hoffen natürlich, dass viele Leute zu den Konzerten kommen und dass sich die Auftritte gut anfühlen. Wir haben sehr viel Liebe und Zeit investiert und jetzt spielen wir in tollen Städten und tollen Clubs. Ich denke, das wird den Menschen gefallen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Weitere Informationen sind auf der Bandhomepage erhältlich. (Beitragsbild: Roller Derby by Lilli Albrecht)