Sein aktuelles Tribute-Album für Kurt Tucholsky ist brillant. Gelingt Robert Stadlober die Verbindung von Pop mit Poesie und Prosa auch live so überzeugend?
Text und Fotos von Werner Herpell
„Sag mal, verehrtes Publikum: bist du wirklich so dumm?“ Diese Frage stellt Kurt Tucholsky vor rund 100 Jahren in einem seiner gesellschaftskritischen Texte unter dem Pseudonym Theobald Tiger. Und mokiert sich über das sinkende Niveau und die Anspruchslosigkeit vieler Menschen jener Zeit im Umgang mit Medien und Kultur, über die weit verbreitete Angst vor dem „Druck von oben“ und über den vorauseilenden Gehorsam.
Kommt uns im Hier und Jetzt das nicht irgendwie bekannt vor?
Von Weimar bis in die Gegenwart
Robert Stadlober, begnadeter Schauspieler (von Jugendrollen in „Sonnenallee“ und „Crazy“ bis zur brillanten TV-Serie „Kafka“ im Vorjahr oder als Joseph Goebbels im Kinofilm „Führer und Verführer“) und immer wieder auch Sänger, macht die Verbindungen von der Weimarer Republik bis in die Gegenwart sichtbar – im Lied „An das Publikum“ und auch in anderen Tucholsky-Adaptionen. Wie er sein aktuelles Tribute-Album „Wenn wir einmal nicht grausam sind, dann glauben wir gleich, wir seien gut“ (2024) am 02.03.2025 im Potsdamer Waschhaus präsentiert, das öffnet noch einmal ganz neue Türen zu dem großen, tragischen Schriftsteller, Journalisten und Zeitchronisten (1890-1935).
War die mit wunderhübschen Indie-Folkpop-Melodien garnierte Hommage-Platte schon beeindruckend ambitioniert, voller Respekt und Subtilität, so ist auch „Stadlober & Tucholsky live“ ein Ereignis. Denn der 42-Jährige, einst Wahl-Berliner und jetzt mit seiner Familie in Wien lebend, liest und singt diese so politischen wie persönlichen, so melancholischen wie humorvollen Texte nicht nur – nein, er lebt sie förmlich auf der Bühne der Waschhaus-Arena, wechselt mühelos hin und her zwischen den Identitäten Robert und Kurt.
Fünf Tucholskys auf der Potsdamer Bühne
Mit seiner lässig umgehängten E-Gitarre, ansonsten nur begleitet von den wunderbar wehmütigen Knopfakkordeon-Klängen des musikalischen Langzeitgefährten Daniel Moheit, lässt Stadlober die fünf Tucholskys (der Autor schrieb abwechselnd unter eigenem Namen, als Kaspar Hauser, Theobald Tiger, Peter Panter oder Ignaz Wrobel) gleichsam mit auftreten. Sympathisch schnoddrig, sarkastisch und doch freundlich, so wie Kurt Tucholsky selbst wohl (auch) war, verbeugt sich Stadlober vor seinem Idol. Jedes Lied leitet er mit einer Lektüre aus seinem im Verbrecher-Verlag herausgegebenen Buch vor, das die zwölf Albumtexte und noch viel mehr enthält.
Menschliche Eitelkeit („Der Pfau“), scharf beobachtete Berliner Alltagsszenen („Bellevue“), Militarismus („Nationale Verteidigung“, „‚S ist Krieg“), Kritik an Bieder-Bürgertum und fiesen Nationalisten („Zuckerbrot und Peitsche“, „Die blonde Dame singt“) – es steckt so viel in diesen kompakten Gedichten und Geschichten. Und Stadlober schafft es in seinen pointierten Ansagen tatsächlich, immer wieder den Bogen vom Damals zum Heute zu schlagen, mögen die hundert Jahre alten Worte gelegentlich auch etwas angestaubt klingen. Manchmal schnürt’s einem den Hals zu, so beunruhigend aktuell ist dieser Tucholsky. Zum Glück aber oft auch zumindest ein bisschen hoffnungsvoll.
Robert Stadlober und Kurt Tucholsky – das passt
Ja, man spürt bei dieser fabelhaften Mixtur aus Lesung und Konzert, da haben sich zwei gefunden, die biografisch weit auseinander sind und doch zueinander passen: der österreichisch-deutsche Schauspieler und Musiker mit klar antifaschistischer Agenda – und einer der wichtigsten Publizisten der ersten, zum Scheitern verurteilten deutschen Republik, linker Demokrat in schwierigen Zeiten. Der zeitliche Abstand ist groß, aber „er lässt uns seine Gedanken da, seine Menschenzugewandtheit, sein zärtliches, vergnügtes Verfechten des Individualismus, der sich eben nicht durch die Missachtung anderer freistellt und über sie erhebt …“, schreibt Stadlober im Nachwort seines Buches über den Geistesverwandten Tucholsky.
Dieses Zusammentreffen hat schon auf Platte einen der schönsten Brückenschläge zwischen Pop, Poesie und Prosa hervorgebracht. Live geht dieses „Stadlober & Tucholsky“ noch tiefer. Ein intellektuelles, erhellendes Vergnügen. Danke, Robert und Daniel – und Kurt!


















