Robert Prosser und das Kämpfen und Überleben im Alltag und im Boxring
Robert Prosser beginnt seinen neuen Roman „Gemma Habibi“ mit einem Boxkampf. Prossers Protagonist Lorenz steht im Halbfinale der österreichischen Staatsmeisterschaft 2015. Sofort überträgt der in Wien lebende Autor die Dynamik des Boxsports auf seinen Sprachstil, dem er – von nuancierten Abweichungen abgesehen – bis zum Ende treu bleibt. Noch bevor das Kampfurteil verkündet wird, blendet Robert Prosser zurück und lässt seinen Ich-Erzähler die vier vorangegangenen Jahre rekapitulieren.
Die Gegenwart zwischen Österreich, Syrien und Ghana
Lorenz ist eingeschrieben als Student für Deutsch auf Lehramt sowie Kultur- und Sozialanthropologie im Nebenfach an der Wiener Uni. Nach einem Besuch der Lehrveranstaltung „Einführung in den Islam“ reist Lorenz nach Syrien, wo er die Fotografin Elena und den mit einem Box-Faible ausgestatteten Hotelbesitzer Zain, den alle auf eigenen Wunsch nur „Z“ nennen, kennenlernt. Als Lorenz für eine Seminararbeit ein Umfeld mit Menschen diverser Herkunft ausloten soll, wählt er einen Box-Club, ist schnell angefixt von diesem Sport und trainiert besessen für den nationalen Meisterschaftskampf. Der inzwischen vor dem Syrien-Krieg nach Wien geflohene Zain hat sich Lorenz angeschlossen und träumt vom Durchbruch als Profi-Boxer mit allem für ihn dazugehörigen Pomp. Elena wiederum treibt ihre Karriere als Fotografin voran und hält die Gegenwart mit der „Idee, gesellschaftliche Konflikte zu einer vielgestaltigen, detailversessenen und gerade dadurch wuchtigen Darstellung zu bündeln“, in Österreich, Syrien und Ghana – wohin ihr Lorenz folgt – mit ihrer Kamera fest. In seinem dritten Roman, dessen Titel „Gemma Habibi“ eine Kombination aus österreichischem Slang und arabischem Idiom abbildet, stellt der österreichische Autor Robert Prosser, der 2017 mit „Phantome“ auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis stand, das Kämpfen und Überleben sowohl im Boxring als auch im Alltag in den Mittelpunkt des Plots.
Robert Prosser findet einen leidenschaftlichen Sprachrhythmus
Für seine Beschreibung der durch Syrien-Krieg, Flucht und Demonstrationen geprägte Welt findet Prosser einen leidenschaftlichen, vom Boxen geprägten, sprachlichen Rhythmus. Stil und Inhalt wirken nicht selten wie ein gezielter Leberhaken. Seine Recherchen führten den 1983 geborenen Schriftsteller auf die griechische Insel Lesbos, wo er in Camps Interviews mit Flüchtlingen und NGO-Mitarbeitern führte und direkte Eindrücke sammelte. Eigene Erfahrungen sammelte Prosser auch im Boxbereich und lässt diverse berühmt gewordene Fights und Namen des Boxsports vor unserem inneren Auge Revue passieren. So entstand mit dem literarischen Ergebnis „Gemma Habibi“ ein durch seine Glaubwürdigkeit sowie die mitreißende Ausdruckskraft überzeugender, die Gegenwart durchleuchtender Gesellschaftsroman.
Robert Prosser: „Gemma Habibi“, Ullstein, Hardcover, 224 Seiten, 978-3-96101-014-1, 22 Euro (Beitragsbild von Gerald von Foris).