Verdammt gute Geschichten
Richard Yates war einer der fabelhaftesten amerikanischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts und im Nachhinein betrachtet spielte er in einer Liga mit John Steinbeck, Ernest Hemingway und William Faulkner. Zwar wird sich die Menschheit hinsichtlich seines Namens zunächst immer an die Verfilmung von Zeiten des Aufruhrs mit Kate Winslet und Leonardo Di Caprio erinnern, doch hat bereits James Deans cineastische Darstellung in Jenseits von Eden bei der Literaturverbreitung von Steinbecks Roman geholfen, den Büchern Richard Yates‘ war die mediale Aufmerksamkeit nicht minder willkommen. Yates, bei Sounds & Books bereits mit Cold Spring Harbor im Programm, war zum Zeitpunkt des Filmstarts schon fast 20 Jahre tot, doch besser posthumer Ruhm als gar keiner.
Im Band Eine letzte Liebschaft befinden sich neun, bisher nicht veröffentlichte Erzählungen des 1926 geborenen und 1992 verstorbenen Autors. Kriegserlebnisse und die Folgen sowie dysfunktionale Beziehungen sind der rote Faden dieser Short Storys. In der ersten Geschichte “Der Kanal“ treffen sich die Ehepaare Brace und Miller auf einer Cocktailparty. Tom Brace und Lew Miller waren am Ende des 2. Weltkrieges bei einer Kanalüberquerung in Deutschland in zwei nahe voneinander marschierenden Einheiten beteiligt. Doch während der weltmännische Brace in heroisches Schwärmen gerät, möchte sich der grüblerische Miller, wohlwissend keine Heldentaten vollbracht zu haben, erst gar nicht erinnern. Ein aggressives Verhalten seiner Frau gegenüber, die von Braces Worten ganz eingenommen erscheint, ist die Folge. Latent unterdrückte Emotionen, Hilflosigkeit und beziehungsbedingte Missverständnisse sind wichtige Parameter der in Eine letzte Liebschaft versammelten Erzählungen.
Richard Yates besitzt die Gabe, das Unausgesprochene zu artikulieren, häufig zwischen den Zeilen und manchmal schleudert er es seinen Protagonisten mitten ins Gesicht. So muss sich in der Story „Der Rechnungsprüfer und der und der wilde Wind“ der just von seiner Frau verlassene Buchhalter George Pollock zufällig anhören, wie ein Kollege über ihn herzieht und sein Versuch, eine junge Kellnerin kennenzulernen endet desaströs. Vom Glück sind die meisten von Richard Yates erfundenen Figuren meilenweit entfernt. Für den Tuberkulose-Patienten Tom Lynch endet in „Eine Krankenhausromanze“ die Beziehung mit Krankenschwester Mary schneller als geplant und für Marines-Gattin Betty Meyers entwickelt sich das amouröse Abenteuer in „Abend an der Côte d’Azur“ desillusionierend.
Einzig Bill, der Anti-Held aus der letzten Geschichte „Ein genesendes Selbstbewusstsein“ kann trotz Ausraster und verquerer Gedanken zur Überraschung aller auf die Liebe seiner Frau zählen. In vielen kleinen, alltäglichen, scheinbar profanen Situationen sieht Richard Yates das Abgründige und zeigt die Menschen in ihren Enttäuschungen, in all ihrer bitter-komischen Tragik. Yates ist ein Meister des präzisen, trockenen und schnörkellosen Schreibstils. Die Atmosphäre seiner Short Storys in Eine letzte Liebschaft gleicht einer schleierhaften Lakonie mit subtiler Traurigkeit. Es sind schlicht und ergreifend verdammt gute Geschichten, die Richard Yates erzählt.
Richard Yates: „Eine letzte Liebschaft“, DVA, aus dem Amerikanischen von Thomas Gunkel übersetzt, Hardcover, 208 Seiten, 978-3-421-04618-5, 19,99 €.