Richard Powers unterstreicht mit Orfeo seinen Status als wichtiger amerikanischer Schriftsteller
von Gérard Otremba
Richard Powers hat einen überwältigenden Roman geschrieben. Ein Roman, der im dichtgedrängten Buchregal mittels Frontalpräsentation einen Ehrenplatz erhält, eine Gunst, die nur sehr wenigen Büchern zu Teil wird, wie beispielsweise Das Haus auf meinen Schultern von Dieter Forte. Der Roman von Richard Powers heißt Der Klang der Zeit und ist 2004 in der deutschen Übersetzung von Manfred Allié und Gabriele Kempf-Allié im S. Fischer Verlag erschienen. Ein literarisches Meisterwerk, ein Panoptikum des 20. Jahrhunderts, mithin der beste zeitgenössische amerikanische Roman der letzten zwanzig bis dreißig Jahre, mindestens nobelpreisverdächtig. Gleich einer sakralen Schrift stieg der amerikanische Autor Richard Powers mit Der Klang der Zeit in den literarischen Olymp und verhinderte gleichzeitig das Lesen seiner anderen belletristischen Werke, denn ein Opus Magnum dieser Qualität schreibt auch ein Richard Powers so schnell nicht noch einmal. Diesem Denken verhaftet, ignorierte ich seinen Nachfolger Das Echo der Erinnerung und auch das 2011 im Deutschen veröffentlichte Debüt Drei Bauern auf dem Weg zum Tanz von 1985 steht ungelesen im Regal. Doch vielleicht ist die Prosa von Richard Powers mit der Musik von Van Morrison vergleichbar, der mit Astral Weeks das eine überragende Meisterwerk schuf, um im Anschluss diverse qualitativ hochwertige Alben wie Moondance, His Band Ans The Street Choir, Tupelo Honey, Saint Dominic’s Preview, Hard Nose The Highway und Veedon Fleece herauszubringen.
Der Avantgarde-Musiker und Hobbybiologe Peter Els und die Zeichen der Zeit
So jedenfalls erging es mir beim Lesen von Orfeo, des neuen, wiederum von Manfred Allié übersetzten Romans des 1957 geborenen Richard Powers. Der Klang er Zeit bleibt weiterhin das unangetastete, Grenzen sprengende Nonplusultra in Powers Euvre, jedoch hat der Meister das Schreiben nun wahrlich nicht verlernt. Der 70-jährige Komponist Peter Els sieht sich eines Tages mit zwei Beamten der Joint Security Task Force vor seiner Haustür konfrontiert, denen Hinweise über Bakterienkulturen in Els‘ Haus vorliegen. In der Tat experimentiert Els mit einem selbstgebastelten Hobbylabor an der DNA von Bakterien. In den leicht hysterischen United States Of America der heutigen Zeit wird Els die Manipulation von Mikroorganismen zum Verhängnis, denn wenige Tage später findet er sein Haus abgesperrt vor und sich selbst auf der Flucht vor den Bundesbehörden. In eingestreuten Rückblenden erzählt Powers das Leben des ehemaligen Avantgarde-Komponisten zwischen Privatleben und der Liebe und Besessenheit zur Musikkunst. Zeitgeschichtliche Aspekte der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts fließen prägnant und doch wie beiläufig in die Lebensabläufe von Peter Els ein. Allein das überbordende musiktheoretische Wissen, das Powers den Lesern mittels seines Protagonisten zumutet, gerät manchmal nerdig. Streitbare Ansichten zur allgemeinen Diskussion bietet die Figur Peter Els an einigen Stellen ebenfalls. Orfeo strahlt vielleicht nicht die Magie von Der Klang der Zeit aus, ein begnadeter Erzähler bleibt Richard Powers natürlich dennoch.
Richard Powers: Orfeo, S. Fischer Verlag, Hardcover, 978-3-10-059025-1, 22,99 €.
Lieber Gérard,
Richard Power ist insgesamt in den letzten Jahren an mir vorbei gegangen, auch der Klang der Zeit. Der schreibt immer so dicke Teile, wahrscheinlich hat mich die Masse abgehalten, also ich meine, meine träge Masse…
Jetzt hast Du mich mit einer Besprechung von Orfeo auf jeden Fall auf den Klang der Zeit aufmerksam gemacht und der kommt jetzt erstmal auf meine ernsthafte Lesewunschliste. Orfeo sehen wir dann.
Übrigens fand ich Deinen Van Morrison-Vergleich sehr schön und, zumindest was Van the Man betrifft absolut treffend. Zu R.P. kann ich ja leider wegen Nichtkennens noch nichts sinnvolles sagen.
Danke für den schönen Post und den Tipp und schöne Grüsse
Kai
Lieber Kai,
Der Klang der Zeit gehört für mich wahrlich in meinen Literatur-Kanon, da wiederhole ich mich in meiner endgültigen Lobhudelei nur zu gerne. Eines der besten Bücher, die ich jemals las. Schön, dass wir uns bei Van Morrison einig sind.
Viele Grüße aus Hamburg, Gérard
Jetzt bin ich arg in der Zwickmühle, ob ich endlich mal den Klang der Zeit nachhole oder doch besser sein neues, welches mich vom Thema her sehr anspricht.
Klang der Zeit wir von mir wahrlich vergöttert. Ich kann dich nur bitten, diesen Roman zu lesen, es ist eine Offenbarung. Schöne Grüße, Gérard
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Klang der Zeit gefiel mir sehr gut, aber alles andere, was ich bislang von Powers las, hatte für mich ein wenig den Eindruck, da wolle einer beweisen, wieviel Wissen er bei sich angesammelt hat – es war mir eine Spur zu „akademisch“ (besser kann ich es nicht ausdrücken). Vielleicht gebe ich ihm nach Deiner Besprechung wieder einmal eine Chance…
Das mit dem akademischen Wissen kann ich sehr gut nachvollziehen, sein musiktheoretisches Wissen ist in Orfeo nur allzu präsent.