Mit jedem neuen Album wächst die Sheffield-Romantik. Richard Hawley feiert erneut Schönheit und Hässlichkeit der Ex-Stahlstadt. Eine seiner besten Platten?
von Werner Herpell
Wenn es nicht schon längst geschehen ist, müsste Richard Hawley spätestens für dieses Album die Ehrenbürgerschaft von Sheffield erhalten. Denn „In This City They Call You Love“ ist, hinsichtlich Coverfoto-Artwork (der Bahnhof Moore Street), Atmosphäre und Songwriting, wieder mal eine durch und durch liebevolle Hommage an die Heimatstadt des mittlerweile 57-jährigen Britpop-Sängers und Gitarristen. Wie schon auf früheren Werken, die bereits beim Albumtitel Bezug nahmen auf bestimmte, meist nicht besonders edle Ecken der früheren nordenglischen Stahl-Metropole („Lowedges“, „Coles Corner“, „Lady’s Bridge“, „Truelove’s Gutter“), lässt der große Crooner Hawley warmherzigen Lokalpatriotismus in seine romantischen Songs sickern, ohne dass es je kitschig klänge.
„Dreckiges Bild im goldenen Rahmen“
Hawley fasziniere an der
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Stadt, dass Schönheit und Hässlichkeit so nah beieinander liegen, analysierte kürzlich die „taz“ und traf damit wohl den Nagel auf den Kopf. Zur Bestätigung zitierte der Musiker selbst den viktorianischen Kunstkritiker John Ruskin: „Sheffield ist ein dreckiges Bild in einem goldenen Rahmen.“ Den aktuellen Albumtitel „In This City They Call You Love“ – dem vergleichsweise reduzierten Song „People“ entnommen und diesmal ohne direkten Ortsbezug – erklärte Hawley im Interview der Zeitung so: „Ob komplett tätowierter Busfahrer oder blumenzupfende Lady im Vorgarten – wir beenden unsere Sätze mit dem Wort ‚love‘. Es strukturiert alle Gespräche und hängt an Fragen: Wie viel Uhr ist es, love? Gehst du in den Pub, love?“ Grundsätzlich sei es „angeborene Freundlichkeit, die die Menschen aus Sheffield auszeichnet. Ich bin weit rumgekommen, aber diese Freundlichkeit gibt es sonst nirgends.“
Seinen größten Sheffield-Vermarktungs-Coup schaffte Hawley mit dem nach einem seiner besten Alben (von 2012) benannten Musical „Standing At The Sky’s Edge“, das seit 2019 große Theater-Preise abräumte. Mit seinen jüngsten Platten „Hollow Meadows“ (2015) und „Further“ (2019) enttäuschte er keineswegs, fügte dem eigenen Katalog aber nichts wesentlich Neues hinzu. Der Mann könnte halt auch das Shefielder Telefonbuch heruntersingen mit diesem an Scott Walker oder Roy Orbison gemahnenden Wahnsinns-Bariton und dazu seine wunderbare seufzende oder rockende Gitarre erklingen lassen, es wäre immer ein Hochgenuss.
Es überwiegt die Melancholie
Auch „In This City They Call You Love“ erweitert nun nicht die Klangwelt des Richard Hawley, führt lediglich all seine bewährten Stilelemente kongenial zusammen – mehr muss aber gar nicht sein. Etwas mehr Country-Twang („Hear That Lonesome Whistle Blow“, „I’ll Never Get Over You“), eine größere Prise Sixties-Folkpop („Prism In Jeans“ erinnert an Harry Nilssons „Everybody’s Talking“), auch mal Blues („Deep Waters“) oder Blue-Eyed-Soul à la The Style Council („Do I Really Need To Know?“) – und immer wieder prächtige, zu Herzen gehende Streicher-Balladen wie „Heavy Rain“ oder „‚Tis Night“.
Zum Einstieg, in „Two For His Heels“ und „Have Love“, später noch in „Deep Space“, darf Hawleys E-Gitarre kerniger losbratzen – „I deliberately only played a handful of guitar solos to keep it focused on voices, the song and space…“, sagt er selbst über diese Zurückhaltung. Insgesamt überwiegt das Melancholische, fast Andächtige in seinen aktuellen Liedern.
Ein paar neue Songklassiker von Richard Hawley
Damit kommt der in Interviews raue, aber stets herzliche Brite zwar wieder nicht ganz an seine allerstärksten Alben der Jahre 2005 bis 2012 – mit dem in jeder Hinsicht tiefdunklen „Truelove’s Gutter“ (2009) als wohl ewigem Karriere-Highlight – heran. Seine Konzert-Setlists (hoffentlich, bittebitte, bald auch mal wieder für deutsche Bühnen!) stattet Hawley aber allemal mit einigen neuen Songklassikern aus. „In This City They Call You Love“, vom Label BMG als „vintage Hawley“ bezeichnet, unterstreicht den Status der Sheffield-Ikone als einer der besten Singer-Songwriter Großbritanniens. „He remains the only pop star who, like his city, calls you love“, schrieb dazu sehr trefflich der bekannte englische Musikjournalist Stuart Maconie.
Das Album „In This City They Call You Love“ von Richard Hawley erscheint am 31.05.2024 bei BMG Rights. (Beitragsbild von Dean Chalkley)