Da zieht einer so richtig vom Leder: Der Ex-Spliffer Reinhold Heil hat die Nase voll von Frauenfeinden, Schwurblern und Rechtsextremisten. Sein Solo-Debüt – ein echtes Brett.
von Werner Herpell
Puh, dieser Albumtitel. Man hofft, dass es bitte-bitte ironisch (und nicht protzend ernst) gemeint sein möge, was Reinhold Heil, der Ex-Spliffer, renommierte Studioproduzent und Komponist, da quasi in Großbuchstaben postuliert. Und ja, es ist zum Glück sowas von ironisch gemeint, sogar bitterböse kritisch gegen all die „Freiheit für mich allein!“-Brüller, AfD-Schwurbler, Machos, Frauenfeinde und geistig minderbemittelten Muskelprotze, die derzeit im wachsenden Rechtsextremismus weltweit ihre große Stunde gekommen sehen.
Reinhold wer? Ein wichtiger Künstler!
Kurze Rückblende, weil nicht mehr jeder diesen für die (mindestens) deutsche Pop-Szene so wichtigen, vielfach preisgekrönten Künstler so richtig kennen wird (Lebensstationen laut PR-Info: „Aufgewachsen Nähe Frankfurt, dann Berlin, Los Angeles, Hawaii, Florenz“): Heil war nach dem Start in der punkrockigen Nina Hagen Band (1977-1979) Keyboarder und Sänger von Spliff (1979-1985), er schrieb mit „Carbonara“ und „Das Blech“ zwei der erfolgreichsten deutschsprachigen Singles der 80er. Daneben war er Teil des Duos Cosa Rosa (zusammen mit seiner 1991 leider sehr jung gestorbenen Lebensgefährtin Rosemarie Precht), betreute als Produzent die ersten Nena-Alben und arbeitete dann vornehmlich als Film- und TV-Komponist, unter anderem für Tom-Tykwer-Erfolgsfilme wie „Lola rennt“ oder „Das Parfüm“.
Heils spätes deutschsprachiges Solo-Debüt „Freiheit Geilheit Männlichkeit“ ist rein textlich – zur Musik kommen wir später – ein hochaktuelles Album und das mutige Statement eines Songschreibers, der mit seinen 71 Jahren selbst durchaus zu den kritisch beäugten „alten weißen Männern“ zu rechnen ist (der nur wenig jüngere Schreiber dieser Zeilen darf das so pauschal sagen). Und wie treffsicher zieht er hier vom Leder, etwa in „Die Ballade vom Incel“ (über zu kurz gekommene, unfreiwillig zölibatär lebende Männer, deren Frust über Ablehnung irgendwann in Gewalt gegen Frauen umschlägt) oder in „Weg da, weg da“ (über Ellenbogen-Typen und ihre brutal einfache Sicht der Dinge im entfesselten Kapitalismus, mit sarkastischer „FDP, FDP“-Textzeile).
Er nimmt’s mit vielen auf – nicht immer subtil
Gegen Talar-Würdenträger hat Heil auch noch ein Hufeisen im Boxhandschuh parat („Besteuert die Kirchen“). Die Verschwörungstheoretiker und Pandemie-Leugner kriegen mit „Hut aus Alu“ oder „Corona“ ihr Fett weg. Und wer sich bei „Dick“ nicht an die toxische Männlichkeit gewisser Musikerkollegen erinnert fühlt – die Metal-Soundkulisse klingt irgendwie nach Rammstein, bestimmt nur ein Zufall… „Tapfer, tapfer“ (trägst du dein Kreuz…) dreht sich um Opfermentalität und Größenwahn rechtsextremer Deutschtümler.
Damit legt dieser Musiker bedenkliche gesellschaftliche Entwicklungen einer „Männergesellschaft“ ebenso offen wie die Verbindungen von demokratiefeindlichen Gruppen in unserem Staat – nicht immer subtil mit dem feinen textlichen Florett, manchmal eher mit dem Fluch-Säbel oder auch mal mit dem „Arschloch!“-Holzhammer. Aber Leisetreterei ist Heils Sache eben dankenswerterweise nicht. Und lustig ist das, bei aller Ernsthaftigkeit der Themen, erstaunlich oft – dieser Typ hat definitiv einen sympathisch fiesen Humor (im hessisch gebabbelten „Aschebeschää“ wird der auch mal albern).
Reinhold Heil hörte Faschismus früh „trapsen“
Das Phänomen der „Neuen Männlichkeit“ war dem Musiker bereits in den frühen 90ern aufgefallen. „Damals dachte ich, ‚Faschismus, ick hör dir trapsen‘, und inzwischen ist eine Bewegung daraus geworden“, sagt Heil. Er nahm die Pläne für ein erstes echtes Soloalbum irgendwann wieder auf und schrieb 14 Songs zwischen Deutsch-Pop im Spliff-Stil und funkig-groovigem Electro-Rock, über die er seinen eindringlichen, tiefen Sprechgesang legt. Darin spürt er „dem Begriff der Männlichkeitsperformance nach, dem Trend zur Trad-Wife, all den Themen, die in diesem Spektrum umherflirren: der Geilheit, ausgelebt und unterdrückt, der Freiheit, dem Geld, dem Klimawandel und am Ende auch der eigenen Männlichkeit“.
Mit „Tschüss Mama“, einer sehr persönlichen, sehr zärtlichen Hommage an die demente oder an Alzheimer leidende Mutter, endet dieses wuchtige, wütende Album ganz getragen. „Freiheit Geilheit Männlichkeit“ ist insgesamt ein echtes Brett (und manchmal, sobald in einer gewissen Joachim-Witt-Nähe, musikalisch auch durchaus angreifbar). Eine Deutschpop-Scheibe jedoch wie keine zweite in diesem Jahr. Eine Platte, die sich was traut. Kompliment, Reinhold Heil!
Das Album „Freiheit Geilheit Männlichkeit“ von Reinhold Heil ist am 30.05.2025 beim Label Künstlerhafen/Kontor New Media erschienen. (Beitragsbild von Michele Campagni)