Rebecca West: Die Rückkehr – Roman

Psychologisch feinsinniger Roman, erstmals in deutscher Übersetzung

von Gérard Otremba

Rebecca West war eine englische Journalistin und Schriftstellerin, die 1892 in London unter ihrem bürgerlichen Namen Cicely Isabel Fairfield das Licht der Welt erblickte und 91 Jahre später ebendort aus dem Leben verschied. Sie wuchs in einem künstlerisch-intellektuellen Umfeld auf, ihre schottische Mutter war Pianistin, ihre Vater Journalist. Nach der elterlichen Trennung verbrachte Fairfield ihre Schulzeit in Edinburgh, bevor sie in London Schauspielunterricht nahm, in Folge sich den Namen Rebecca West zulegte und als Frauenrechtlerin und Literaturkritikerin etablierte. Nachdem sie einen Verriss des Romans „Marriage“ (dt. „Die Geschichte einer Ehe“) von H.G. Wells schrieb, lud dieser sie zum Lunch ein, daraus entwickelte sich eine Liebesbeziehung, aus der ein gemeinsamer Sohn hervorging. Als Journalistin erhielt sie mehrere Preise und berichtete u.a. 1946 für den Daily Telegraph über die Nürnberger Prozesse.

Die Rückkehr war ihr erster Roman und erschien 1918 unter dem englischen Originaltitel The Return Of The Soldier. In diesem lediglich 160 Seiten kurzen Prosawerk beschreibt Rebecca West die Rückkehr des durch seinen Fronteinsatz im Ersten Weltkrieg geschädigten Chris Baldry auf seinen Landsitz im Süden Londons. Dort warten auf ihn seine Frau Kitty und seine Cousine Jenny, aus deren Perspektive West die Geschichte erzählt. Der 36-jährige Chris Baldry leidet an einem „Granatenschock“, oder auch retrograde Amnesie genannt, so dass sich Baldry an die letzten fünfzehn Jahre seines Lebens nicht erinnern kann und sich folgerichtig an seine alte Liebe Margaret wendet, statt seiner Frau zu schreiben, die er bei seiner Ankunft in London nicht erkennt. Die Rückkehr von Rebecca West, elegant und stilvoll von Britta Mümmler erstmals ins Deutsche übersetzt, ist eine hochinteressante, psychologische Vierecksgeschichte.

Chris Baldry lebt nun also wieder als 21-Jähriger und fühlt sich in Margaret verliebt, die ihrerseits, obwohl längst mit einem anderen Mann verheiratet, ihr verhärmtes  Mauerblümchendasein etwas lockert und wieder so etwas wie Glück verspürt. Baldrys Ehefrau Kitty hingegen ist schwer getroffen und gedemütigt, zeigt sich aber betont gefühlsarm und beleidigt, während aus Jenny Baldrys Erzählton eine schwärmerische Verliebtheit ihrem Cousin gegenüber zu entnehmen ist. Doch den drei Damen wird schon bald klar, dass diese fatale Situation ein Ende erfahren muss, bevor sie gezwungen sind, Chris in eine Anstalt einzuweisen. Es bleibt dann der von Kitty als etwas dümmlich angesehenen Margaret, und nicht etwa dem mit den Erkenntnissen Sigmund Freuds hantierenden und behandelnden Psychologen, vorbehalten, Chris Baldry mit einer Idee zurück in die zeitliche Realität zurückzuholen. Die Rückkehr ist ein Antikriegsroman, der auf Kriegsszenen verzichtet und feinsinnig in die psychischen Abgründe der Beteiligten taucht. Rebecca Wests Stil ist virtuos und edel, zwischen Henry James und Theodor Fontane changierend. Ein literarischer Glücksgriff, nach fast hundert Jahren dankenswerterweise nun auch in deutscher Sprache zu bewundern.

Rebecca West: „Die Rückkehr“, dtv, Hardcover, Übersetzung von Britta Mümmler, 978-3-423-28080-8, 16,90 €.

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