Raphaela Edelbauer: Das flüssige Land – Roman

Raphaela Edelbauer credit Victoria Herbig

Ein virtuoser Debütroman von Raphaela Edelbauer

Raphaela Edelbauers Debütroman „Das flüssige Land“ ist wohl kein Titel, den man für die Shortlist zum Deutschen Buchpreis auf der Rechnung hatte. Eher eine Überraschung – wenn auch eine erfolgserprobte. Denn mit einem Auszug aus ebenjenem Roman gewann die österreichische Autorin 2018 beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb den Publikumspreis. Und damit für Literatur, die nicht eben das ist, was man als leichte Kost bezeichnen würde.

Die österreichische Gräfin und das riesige Loch

Raphaela Edelbauer Das Flüssige Land Cover Klett Cotta

Klar, liegt das zu weiten Teilen in der Thematik des Romans begründet, die sich als Inhaltsangabe formuliert so liest: Der Tod der Eltern stellt die Wiener Physikerin Ruth Schwarz vor eine besondere Aufgabe. Ihre Eltern nämlich haben verfügt, in Groß-Einland, dem Ort ihrer Kindheit, begraben zu werden. Was weniger schwierig wäre, würde sich Groß-Einland nicht beharrlich vor den Blicken Fremder verbergen. Als Ruth endlich dort eintrifft, macht sie eine weitreichende Entdeckung: Ein riesiges Loch, das die komplette Gemeinde in die Tiefe zu reißen droht. Darüber sprechen will allerdings niemand, was an der österreichischen Gräfin liegen könnte, die über die Bewohner Groß-Einlands und deren Erinnerungen  zu regieren scheint. Je stärker Ruth in die Verwicklungen Groß-Einlands zur Zeit des Nationalsozialismus dringt, desto heftiger bekommt sie den Widerstand der Bewohner zu spüren. Bald ahnt sie, dass die geheimnisvollen Strukturen im Ort ohne die Geschichte des Loches nicht zu entschlüsseln sind.

„Das flüssige Land“ ist ein stark surreales Werk. Ebenso abrupt, wie es einen einsaugt, spuckt es einen wieder aus. Dazwischen liegen 21 atemnehmende Kapitel irgendwo zwischen Fiktion, Historien-Roman und Dystopie, die schwanken machen zwischen Zweifeln und Zustimmung, zwischen Fantasie und Wirklichkeit.

Raphaela Edelbauer brilliert mit ihrer Sprachkunst

Man hofft auf eine Auflösung, darauf, dass alles nur Traum oder Drogenrausch der Psychopharmaka nehmenden Protagonistin war. Etwas, woran man sich beruhigen kann. So aber funktioniert der Roman nicht. „Das flüssige Land“ ist nicht beruhigend, sondern eine 350 Seiten starke Metapher auf den Umgang Österreichs mit seiner nationalsozialistischen Vergangenheit.

Fest steht: Raphaela Edelbauer findet einen ganz eigenen Weg, dieses dunkle Kapitel und das kollektive Verdrängen dessen zu erzählen. Dabei ist die Art ihres Erzählens, ihre virtuose Sprache, neben der Thematik der andere Grund, warum ihr Erstlingswerk eben keine leichte Kost ist. Und zwar im besten Sinne! Wenn man nicht weiß, dass die 1990 geborene Autorin Sprachkunst studiert hat, würde man es zumindest vermuten.

„Das flüssige Land“ ist ein Buch, das wohltuend anstrengt. Keines, das man mal eben zwischen hier und da wegliest oder weglegt und dann schon wieder reinfindet. Vielmehr ist es ein Buch, das sich Aufmerksamkeit verschafft, ohne darum zu buhlen. Eine Geschichte, die ein Wegsehen nicht zulässt. Und wenn, dann keinesfalls ruhigen Gewissens. Starke Konkurrenz für die anderen Nominierten. Und zwar buchstäblich.

Raphaela Edelbauer: „Das flüssige Land“, Klett-Cotta, Hardcover, 350 Seiten, 978-3-608-96436-3, 22 Euro (Beitragsbild von Victoria Herbig).

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