Ein echter Meilenstein: Das Debut des eigenwilligen Pianisten und Keyboarder Rainer Brüninghaus wird im Rahmen der „Luminessence”-Reihe von ECM Records wieder veröffentlicht.
von Sebastian Meißner
Vielen ist Rainer Brüninghaus entweder als Pianist und Keyboarder in Volker Kriegels Jazz-Rock-Band Spectrum oder als Mitglied in der Band von Jan Garbarek ein Begriff, der er seit 1988 immer wieder mal angehört. Dabei hat Brüninghaus auch mit anderen Größen wie etwa Gary Burton, Carla Bley, Bobby McFerrin, Jim Hall oder Manu Katché zusammengearbeitet und überdies auch als Leader seiner eigenen Formationen fantastische Musik eingespielt. Brüninghaus hat den Ruf, gleichermaßen verlässlich wie wagemutig zu sein. Er ist ein musikalischer Grenzüberschreiter, Erneuerer und Visionär, der bei aller Ausprobierfreude stets mit beiden Beinen fest auf dem Boden steht. In sein Spiel fließen akustische und elektronische Elemente ein und er kombiniert vollkommen unangestrengt Klassik und Minimal Music ebenso wie Jazz und Rock. Unter Fusion-Freunden ist Rainer Brüninghaus eine absolute Legende.
Ein Quartett voller Tatendrang
Sein Debut als Leader veröffentlichte der heute 75-Jährige 1981 auf seinem Stammlabel ECM Records. Auf „Freigeweht“ spielt Brüninghaus Piano und Synthesizer und wird begleitet vom Kanadier Kenny Wheeler am Flügelhorn, dem norwegischen Schlagzeuger Jon Christensen sowie dem eigentlich klassisch orientierten Oboisten Brynjar Hoff. Es ist ein Quartett voller Tatendrang und Experimentierfreude. Alle sechs Stücke dieses Albums stammen aus der Feder von Rainer Brüninghaus, der dem Sound beim Komponieren eine zentrale Rolle einräumte. „Ich arbeite oft stundenlang an einem Sound, bis ich überzeugt bin, dass alle störenden Elemente aus ihm herausgefiltert sind und dass er wirklich zu der zugrunde liegenden musikalischen Idee passt, die mir vorschwebt. Ich mag keine eindimensionalen Klänge – es müssen zusammengesetzte, komplexe Klänge sein, die sich zu einem harmonischen Ganzen fügen“, erklärt er in den Liner Notes zu diesem Album.
Rainer Brüninghaus verknüpft das Reale mit dem Fiktiven
Dieser soundorientierte Ansatz macht die Musik auf „Freigeweht“ so besonders und lässt sie auch fast 45 Jahre nach ihrer ersten Veröffentlichung immer noch umwerfend frisch und unverbraucht klingen. Brüninghaus und seine Mitstreiter malen mit ihren Instrumenten überlebensgroße Bilder, in denen das Reale auf das Fantastische trifft. Welche Kraft das erzeugt, kann man an jedem Track auf „Freigeweht“ exemplarisch aufzeigen. Zu Beginn der knapp sechs Minuten Spielzeit von „Spielraum“ zum Beispiel schälen sich zunächst Wheeler, dann Brüninghaus mit melodiösen Wasserläufen aus dem diffusen Synthienebel. Ab der Mitte des Stücks begleitet auch das Schlagzeug den Weg, bevor sich am Ende alles wieder ins Ungefähre verläuft.
Noch mehr wie ein Soundtrack zu einem unbekannten Film (Brüninghaus hat später in seiner Karriere tatsächlich mehrere Filmmusikern aufgenommen) klingen das achteinhalbminütige „Die Flüsse hinauf“ sowie der furiose Titeltrack, der so virtuos vorgetragen ist, dass er kaum mehr eine Spur zu menschlicher Einflussnahme erahnen lässt. Alles hier ist „State of the Art“ und und auf eine seltsam fesselnde Art natürlich und unberührt.
Neuester Teil der Luminessence-Reihe
Im Rahmen der fantastischen “Luminessence”-Reihe von ECM Records erscheint „Freigeweht“ nun erneut auf Vinyl. Es ist die Chance, eines der eigenwilligsten und großartigsten Veröffentlichungen dieses Labels wiederzuentdecken.
„Freigeweht“ von Rainer Brüninghaus erscheint am 24.01.2025 bei ECM Records. (Beitragsbild: Pressefoto)