PJ Harvey live in Berlin – Konzertreview

Die Hohepriesterin des Indie-Rock fasziniert beim einzigen Deutschlandkonzert in der Berliner Zitadelle

von Gérard Otremba (Beitragsbild: Maria Mochnacz)

Polly Jean Harvey gehört nach wie vor zu den aufregendsten Künstlerinnen unserer Zeit. Diesen Status zementiert die 46-jährige Musikerin beim einzigen Deutschlandkonzert am 20.06.2016 in der Berliner Zitadelle. PJ Harvey und ihre neunköpfige Band, darunter Ex-Bad Seeds-Mitglied Mick Harvey, sowie der Longtime-Kollaborateur John Parish, inszenieren das neue, fabelhafte Album The Hope Six Demolition Project mit beängstigender Perfektion.

Bevor es jedoch soweit ist, spielt im Vorprogramm das wunderbare Trio Low aus dem berühmten Duluth, Minnesota. Das Ehepaar Mimi Parker (Schlagzeug, Gesang) und Alan Sparhawk (Gitarre, Gesang) sowie Bassist Steve Garrington decken mit sechs Songs die Bandbreite zwischen liebreizenden, harmoniebedürftigen, und eleganten Slow-Folk und experimentellen Avantgarde-Rock ab. Eine Melange aus Lou Reed, Thurston Moore und den Cowboy Junkies. Superbe Musik.

Die macht PJ Harvey seit Jahren ebenfalls, mit den Alben Let England Shake und dem aktuellen Werk The Hope Six Demolition Project erklomm Harvey den Thron der Indie-Göttin, allerdings sind die wüsten Alternative-Songs der frühen 90er Jahre längst elaborierten, kunstsinnigen und doch dem Indie-Pop-Rock zugehörigen Liedern gewichen. Aber die sind schlicht brillant und deshalb führen PJ Harvey und ihre Männercombo auch alle Songs von The Hope Six Demolition Project auf. Wenn PJ Harvey auf der Bühne steht, ist es immer auch eine Performance, eine Theater- und Ausdrucksdarstellung, denn trotz ihrer gar schmächtigen Figur entwickelt PJ Harvey eine wahnsinnige Bühnenspräsenz mit einer alles dominierenden Aura. Irgendwo zwischen Meret Becker und Kate Bush, zwischen Diva und Elfe.

Und doch stellt sie sich als Saxophonistin auch mal in den Hintergrund, lässt andere Bandmitglieder ins Rampenlicht und versteht sich als Teil des Kollektivs. PJ Harvey besitzt eine bezirzende, reife und natürliche Sexyness, vor der andere ihrer Sangeskolleginnen vor Neid erblassen müssten. Wie sie die erste Zugabe „Working For The Man“ zelebriert, verdient tiefste Verbegung und Verehrung. Vom ersten („Chain Of Keys“) bis zum 20. und letzten Song („Near The Memorials Of Vietnam And Lincoln“) hat Harvey alles im Griff und schwingt sich zur Hohepriesterin des Indie-Rock auf. Das alles erinnert irgendwie an Nick Cave und dessen Bad Seeds, ähnlich gut kann sich PJ Harvey auf ihre Männer verlassen.

Zu den Konzerthighlights, die aus einem sehr guten Live-Auftritt noch herausragen,  zählen das bombastisch-dämonische „The Ministry Of Defence“, der perfekte Indie-Pop-Song „The Community Of Hope“, ein famoses und strahlendes „The Glorious Land“, das rockige „The Wheel“, das stürmisch bejubelte „50ft Queenie“, das vom Publikum nicht minder euphorisch aufgenommene „Down By The Water“ und das sinistere „To Bring You My Love“. Nach circa 95 Minuten Spielzeit bedankt sich Harvey artig bei ihren Fans, die öfter solch intensive Harvey-Shows in Deutschland zu sehen bekommen sollten. Wir liegen ihr doch zu Füßen.

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