Pitou: Big Tear – Albumreview

Die niederländische Songwriterin Pitou betört auf ihrem Debütalbum „Big Tear“ mit Folk und Pop

von Michael Thieme

Pitou ist eine Musikerin aus den Niederlanden und veröffentlicht am kommenden Freitag ihr Debüt-Album „Big Tear“. Sie hat einen klassischen Background, sang in ebensolchen Chören und betourte in dieser Funktion große Konzerthäuser in Europa, sogar vor royalem Publikum. Sie liebt und kann also Klassik, macht aber Pop. Zumindest in meiner Welt als Musikhörer klingt das erstmal abschreckend.

Mal ehrlich: die ganzen stimmgewaltigen Diseusen aus Klassik oder Jazz, die sich von der sogenannten Hochkultur kommend auf das Liedgut der Proleten aus Rock oder Pop stürzen – ist ihre Art der künstlerischen „Veredelung“ nicht meistens nichts weiter als eine Beraubung jeglicher emotionaler Essenz des Originals? Technisch versiert, aber seelenlos? Fast so schlimm wie das Aufblasen von Rock-Riffs mittels Symphonieorchester zur Karikatur ihrer selbst. Wer bei der Night Of The Proms, gesponsert u.a. von umweltzerstörenden Kreuzfahrtbetreibern, ehemals als „wild“ deklarierte Weisen ins viel zu volle Auditorium brüllt, hat jeglichen Anspruch verloren, als Rocklegende wahrgenommen werden zu wollen. Außer, man heißt Meat Loaf. Meine Meinung.

Was hat das alles mit der armen Pitou zu tun?

Pitou Big Tear Cover V2 Records

Dankenswerterweise nichts. Oder fast nichts. Denn sie könnte es. Pitou könnte mit ihrer

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Technik oder mit ihrem Stimmumfang prahlen, um uns alle zu beeindrucken. Sie macht es jedoch nicht. Sie bleibt leise (meistens). Und dabei schwerst effektiv. Die Promofirma versucht in ihrer geschriebenen Unterstützung für Banausen wie mich zu erklären, dass Pitou (wie z.B. auch Bon Iver) eine Technik anwendet, die dort „Stimmen stapeln“ genannt wird und die z.B. ebenso beim „gregorianischem Choral“ angewendet werden soll. Der Wikipedia-Artikel dazu ist mir zu lang und zu kompliziert, eigentlich ist mir das außerdem völlig egal. Ich bin einer von jenen Kritikern, die von Musiktheorie keine Ahnung haben und dem geneigten Interessierten trotzdem vorschlagen, welche Platten sie kaufen sollten (im besten Fall) oder zumindest welche Musik sie irgendwo hören sollten. Also, wie fast alle.

Manchmal hört man eine Stimme und das war’s

Liebe auf den ersten Ton, könnte man auch sagen. Schon die beiden EPs, „Pitou“ (2016) sowie „I fall Asleep So Fast“ (2018) sind hinreißend. Discogs labelt das Zeug als Pop, Folk, und sogar Country – ich würde bei letzterem schon widersprechen, Folk ist nachvollziehbar. Pop ist letztendlich fast alles, also ja. Aber das erklärt nicht die Besonderheit ihres Vortrages. Und da kommt dann tatsächlich die Klassik ins Spiel – durch die Instrumentierung z.B. Die Songs entstanden an Gitarre oder Harfe, unterstützend wirkt ein Barock-Ensemble mit, das z.B. auch schon mit Efterklang musizierte (B.O.X.)

Pitou, die Songwriterin

Ihrer Stimme bin ich nicht alleine verfallen, auch ihre Lyrics finden Freunde (ein Gesinnungsgenosse beschreibt das hier).

„Greed“ klingt leicht funky im 70ies Style mit dezenten Chören, während Pitou über das Hamstern spricht. Bei „Helium“ wird etwas mehr stimmlich geflötet, sanfte Gitarren sowie Streicher umgarnen sie. Überkandidelt klingt es dabei nie.

„Animal“ ist ein Folksong, ein wunderschöner, bei dem Pitou stimmlich aus dem Vollen schöpft, ohne es plakativ zu tun. „Devote“ ist ein weiteres Highlight, bei dem ein wenig Mittelalter durchklingt, ohne dabei retro zu wirken. Pitous Gesang umschmeichelt die Hörenden dabei, während sie ihren Abschied von Allem verkündet.

Freunde eigenständiger Songwriterkunst mit beeindruckendem Vortrag und einzigartigen Arrangements sollten sich an diesem Album laben. In Köln, Hamburg sowie Berlin haben diese darüber hinaus noch im April die Möglichkeit, Pitou live zu erleben. Ich bin ein wenig neidisch.

„Big Tear“ von Pitou erscheint am 24.03.2023 bei V2 Records/Bertus. Beitragsbild von Rayan Nohra)

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