Eine Seventies-Party-Nacht, nachgebaut auf einem Album? Pearl Charles macht’s möglich, ihr Mix bietet für jeden Retro-Pop-Fan etwas.
von Werner Herpell
Ältere Leser erinnern sich vielleicht noch an die popmusikalischen Partydrogen der mittleren bis späten Seventies (obwohl, wie heißt es so schön: wer sich noch daran erinnert, kann eigentlich nicht dabei gewesen sein). Ja, da war doch dieser kunterbunte Stilmix zwischen knallendem Disco-Funk und bekifftem Singer-Songwriter-Folk, edlem Westcoast-Pop und groovendem Jazz-Rock, der jede Discothek und jeden Schwoof im selbstgetäfelten Kellerloch auf Touren brachte.
Ein Opener wie weiland Hot Chocolate
Warum diese Erinnerung im Zusammenhang mit Pearl Charles von einer gewissen Relevanz ist? Weil die junge US-amerikanische Musikerin auf ihrem neuen Album „Desert Queen“ den 70er-Jahre-Dancefloor-Sound quasi in elf Tracks und knapp 50 Minuten Spieldauer spektakulär nachgebaut hat.
Das geht schon mit „City Lights“ knackig los, einem Song, der mit seinem bassgetriebenen Disco-Sound, den Streichern und Backing-Vocals an diese unverschämt eingängigen Stücke von Hot Chocolate wie „Every 1’s A Winner“ erinnert, also an „guity pleasures“ jeder durchtanzten Nacht. Danach wird’s mit „Step Too Far“ besinnlicher, dank Pedal-Steel-Gitarre, Saxophon, Flöte und jazzigem Klavierspiel kommt ein warmes, zeitloses Folkrock-Feeling auf.
Partystimmung und Westcoast-Balladen
„Middle In The Night“ ist dermaßen hitverdächtig, dass man sich fragt, warum solche Lieder heute nicht viel häufiger im Radio gespielt werden, um überhaupt Hits werden zu können. Die helle, klare Stimme von Pearl Charles trägt die ausgelassene Mitternachts-Feierstimmung perfekt, das Arrangement des Retro-Pop-Spezialisten Michael Rault ist hinreißend. Mit „Just What It Is“ schaltet das Paar wieder einen Gang zurück und beschert uns eine verträumte Ballade, zu der man die kalifornische Sommersonne langsam im Ozean versinken sieht.
„Givin‘ It Up“ kombiniert Disco-Soul und Yacht-Pop zu einer wiederum kongenialen Mischung für lockere Strand-Partys, „Birthday“ erinnert mit seinen Westcoast-Pop-Elementen wie Bläsern und Jazz-Piano an die Seventies-Legenden Steely Dan und The Doobie Brothers. Pearl Charles redet um die Stil-Koordinaten ihrer neuen Platte denn auch nicht groß herum: „Wir orientieren uns definitiv immer noch an einem Yacht-Rock-/Disco-Sound der 70er Jahre“, sagte sie kürzlich dem „Forbes“-Magazin. „Aber ich denke, wir haben noch mehr Folk-Elemente eingebracht, wie zum Beispiel den Laurel-Canyon-Sound, den ich schon immer geliebt habe.“
Pearl Charles hat auch die Klassiker drauf
Gar prächtig funkelt auch die beatleske Ballade „Smoke In The Limousine“. „Nothin‘ On Me“ bringt mit Steeldrums zusätzlich karibisches Flair ins Spiel. Und im an die Rolling Stones gemahnenden Rocker „Gone So Long“ singt der Brite Tim Burgess (The Charlatans) als Duettpartner mit.
Dass das für Europa beim schottischen Label Last Night From Glasgow erscheinende Album „Desert Queen“ (benannt nach dem Umzug von Pearl Charles und Michael Rault aus der Metropole Los Angeles in die Wüstengemeinde Joshua Tree während der Pandemiezeit) ein höchst gelungener, aber auch sehr eklektischer Mix ist, dürfte nach diesem Schnelldurchlauf klar sein. Einen wirklich eigenen Pearl-Charles-Popentwurf sucht man noch vergeblich. Aber Spaß macht’s halt jede Menge – wie vor ein paar Jahrzehnten die richtig guten Seventies-Partys (falls Ihr Euch noch daran erinnert).
Das Album „Desert Queen“ von Pearl Charles erscheint am 06.06.2025 bei Last Night From Glasgow (LNFG). (Beitragsbild: Albumcover)