Ottessa Moshfegh: Heimweh nach einer anderen Welt – Storys

Ottessa Moshfegh by Jake Belcher

So eufonisch der Titel auch anmuten mag – Ottessa Moshfegh knallt einem mit ihren Storys schmerzhaft sämtliche Poesie aus der Organik. 

Wenn es länger dauert, eine Rezension zu einem Buch zu schreiben, als selbiges zu lesen, dann kann das daran liegen, dass besagtes ein in Umfang und / oder Inhalt sehr schmales ist oder man das mit dem Prokrastinieren echt draufhat. Es kann aber, wie im Fall von Ottessa Moshfeghs „Heimweh nach einer anderen Welt“ auch einfach daran liegen, dass man erzählerisch ordentlich einen mitgekriegt hat und sich erstmal wieder einnorden respektive einworten muss. 

Ottessa Moshfegh und die Kippschaltermenschen

„Verweile doch, du bist so schön“, ist nicht gerade einer der Sätze, den man den Figuren aus Ottessa Moshfeghs aktuellem Ezählband hinterherzirpen möchte. Und falls doch, wird man es relativ zügig bereuen. Dann nämlich, wenn man bemerkt, dass es sich bei ihnen um Kippschaltermenschen handelt. Menschen also, bei denen von jetzt auf gleich alles in die komplett andere Richtung kippen kann – und regelmäßig auch kippt. Menschen, bei denen es keine Zwischentöne gibt, keinen Dimmer. Bloß einen Kippschalter – der Unberechenbarkeit zuliebe mit Wackelkontakt. Aber das war es dann auch. On oder Off. Wobei man sich Off am besten als zappenduster und On als zappenlos, aber immernoch duster vorstellt. Das also sind die Zustände, in denen Ottessa Moshfegh ihre Charaktere der kompletten Verrottung entgegenexistieren lässt. Hell, als Licht gedacht, gibt es in ihren Storys nicht. Hell, als Ort gedacht, schon.

Literarischer Brutalismus

Ottessa Moshfegh Heimweh nach einer anderen Welt Cover Liebeskind Verlag

Da ist zum Beispiel John, der sich an seiner verstorbenen Frau rächen will, indem er sie posthum mit demselben Strichjungen betrügt, mit dem sie ihn mutmaßlich hintergangen hat. Da ist Charles, der noch ein paar Tage für sich und Suff (und was da noch kommen möge) haben will, bevor seine schwangere Frau das gemeinsame Kind zur Welt bringt und sein Leben für immer ruiniert – und ja: Es gibt mehrere Lesarten, wer hier wen ruiniert. Oder da ist der unansehnliche Mr. Wu, dessen Wandlung vom schüchternen Bewunderer zum angewiderten Beobachter mit sadistischen Zügen schneller vonstatten geht, als eine wollgeübte Großmutter einen Pulli für Enkelchen Nr. 9 stricken kann. Oder hej, Miss Mooney ist da auch: 30jährige, alkoholsüchtige Lehrerin, zu deren zwei einzigen Freundinnen eine ihrer Schülerinnen zählt und zu deren Lehrmethoden, auch mal Wissenswertes aus dem eigenen Leben zum Besten zu geben, so beispielsweise, dass die meisten Menschen schon mal Analverkehr hatten. Wieder was gelernt an der Nonnenschule, an der sie unterrichtet. Alkohol, Drogen, Sex – alles exzessiv – Hass, Selbsthass, Lügen, Gewaltfantasien: Das sind elementare Bestandteile im Leben der Figuren aus „Heimweh nach einer anderen Welt“.

Liebe, die nach Verwesung riecht

Und trotzdem scheint es nicht so richtig ihres zu sein, das titelgebende „Heimweh nach einer anderen Welt“, beziehungsweise dessen Ende meist nur einen Rausch, eine Gewalttat, einen Racheakt entfernt. Ihr Leben wirklich zu ändern, dafür sind sie zu kaputt. Zu apathisch. Zu sehr sie selbst. Das Gefühl, das sie haben, wenn sie von Liebe sprechen, ist ein vorrangig von Rausch, Selbstbetrug, Desinteresse und mangelnden Möglichkeiten getragenes. Ob sie nicht können, weil sie nicht wollen oder nicht mehr wollen, seit sie merkten, dass sie nicht können, spielt keine Rolle. Fakt ist: Sie kommen nicht aus ihrer Haut. Sind und bleiben Ausgestoßene unter Ihresgleichen, die, vielleicht aus Selbstschutz und dem Wunsch heraus, vor noch Schlimmerem bewahrt zu werden, grausamste Eigenschaften offenbaren und sich aus diesen resultierend verhalten. Eventuell kurzzeitig aufkommendes Mitleid mit den Mr. Wus und Johns und Miss Mooneys wird zu nachhaltigem Ekel. Konstant nur die Verwunderung darüber, dass der tiefste Punkt noch nicht erreicht scheint, obwohl sie, die radikal Scheiternden und scheiternd Radikalen, unablässig alles dafür geben, genau dort hinzukommen.

Serviervorschlag: Storys an Sagrotan

Überraschend, dass „Heimweh nach einer anderen Welt“ nicht nach Eiter, Promille, Eisen, schlechten Zähnen und anderem Gammel riecht, so intensiv wie die als neue radikale Stimme US-amerikanischer Literatur gefeierte und mehrfach ausgezeichnete Ottessa Moshfegh dieses wenig erstrebenswerte Konglomerat mit Worten zu generieren weiß. Da wünscht man sich zum Buch direkt eine Großpackung Sagrotan dazu. Und ein ausgiebiges Schaumbad in selbigem nach Lesen der 14 Storys. So brutal und widerlich diese sind, so gut sind sie auch!

Zehn von Zehn Sprühstößen!

Ottessa Moshfegh: „Heimweh nach einer anderen Welt“, Liebeskind, aus dem Englischen von Anke Caroline Burger, Hardcover, 336 Seiten, ISBN: 978-3-95438-115-9, 22 € (Beitragsbild: Credit Jake Belcher)

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