Olga Grjasnowa: Gott ist nicht schüchtern – Roman

 

Realitätsnahe, erschütternde und bewegende zeitgenössische Literatur

Die Wege von Hammoudi und Amal, den Protagonisten von Olga Grjasnowas neuem Roman „Gott ist nicht schüchtern“ kreuzen sich zweimal. Zunächst kurz bei einer Schlüsselübergabe in Damaskus, als der in Paris lebende, angehende Arzt Hammoudi zwecks Passverlängerung, der Voraussetzung für seine Aufenthaltsgenehmigung in Frankreich, in seiner syrischen Heimat weilt, später als Flüchtlinge in Berlin. Während Amal als Fernsehschauspielerin erste Erfolge feiert, wird Hammoudi die Rückreise aus Sicherheitsbedenken  verweigert. Für Hammoudi ein schwerer Schlag, löst sich doch seine Beziehung mit Claire, der in Frankreichs Hauptstadt lebenden jüdischen Tochter zweier Kunsthändler aufgrund der neuen Umstände nach und nach in Wohlgefallen auf.

Amal und Hammoudi geraten mitten in die syrische Revolution, beide erleben Verfolgung und Gewalt hautnah, für beide wird es in ihrer Heimat lebensgefährlich, die Flucht  alternativlos. Amal, die wohlbehütet, aber die Hälfte ihrer Kindheit getrennt von ihrer russischen Mutter verbrachte, hilft tatkräftig beim Aufbau der Revolution mit, wird nach einer Demonstration verhaftet, verhört und gefoltert. Mit den Beziehungen ihres Vaters zieht sie zwar immer wieder den Kopf aus der Schlinge, aber irgendwann wird der Druck zu groß. Hammoudi indes gerät in seiner Aufgabe als Arzt in der Assad-Oppositionsbewegung immer häufiger in lebensbedrohliche Situationen, gefährliche Begegnungen mit dem IS inklusive. Auch er ist irgendwann mit seinen Nerven am Ende. Amal wählt mit ihrem Freund den abenteuerlichen Schleuserweg über das Mittelmeer, Hammoudi schlägt sich nicht minder riskant über die Türkei nach Deutschland durch.

Hammoudi und Amals Wiederbegegnung in Berlin hätte eine Wende bedeuten können, doch die Tragik setzt sich fort. Schonungslos und unprätentiös beschreibt die mit dem Anna Seghers-Preis ausgezeichnete Olga Grjasnowa das Leben ihrer mit Kriegsgräuel und den verheerenden Folgen konfrontierten Figuren. So detailliert sie deren Fluchten schildert, so nahe bringt sie dem westeuropäischen Leser das syrische Lebensgefühl. Und so gut man die beschriebenen Speisen zu seinem Wohle riechen und schmecken kann, so drastisch und brutal sind die zu seinem Unwohl erzählten Bürgerkriegspassagen. Gott ist nicht schüchtern ist ein hochdramatischer, politischer und wichtiger zeitgenössischer Roman. Olga Grjasnowa schreibt hier realitätsnahe, bewegende und erschütternde Literatur, die wie ein Schlag auf den Solarplexus wirkt.

Olga Grjasnowa: „Gott ist nicht schüchtern“, Aufbau, Hardcover, Hardcover, 309 Seiten, 978-3-351-03665-2, 22 €.

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