Norbert Gstrein: Der zweite Jakob – Roman

Norbert Gstrein credit Oliver Wolf

Mit seinem faszinierenden, suggestiven und abgründigen neuen Roman „Der zweite Jakob“ bewirbt sich Norbert Gstrein für die zahlreichen Buchpreise

In der Rolle eines Frauenmörders erlangte der Jakob Thurner Ruhm und Ehre. Nun steht der in Innsbruck residierende, durch eine halblegale Erbschaft seiner Oma aus der Hotel- und Skiliftdynastie reich gewordene Schauspieler kurz vor seinem 60. Geburtstag. Sein Heimatort möchte zu diesem Anlass ein Fest ausrichten, der Jubilar jedoch stattdessen viel lieber mit seiner Tochter Luzie eine Reise in die USA antreten und sich vor den Feierlichkeiten drücken. Nachdem Luzie ihrem Vater allerdings die Frage gestellt hat, was das Schlimmste sei, das er jemals getan habe und Jakob sie zunächst mit offensichtlichen Antworten abspeist, gesteht er ihr eine Mitwirkung bei einem Unfall als Beifahrer mit Todesfolge. Für den österreichischen Schriftsteller Norbert Gstrein der Ausgangspunkt dieses faszinierenden, komplexen, suggestiven und abgründigen Romans.

Alte Schuld

Norbert Gstrein Der zweite Jakob Cover Hanser Verlag

Aus der Ich-Perspektive lässt Gstrein Jakob Thurner abwechselnd gegenwärtige Ereignisse und von einem Filmdreh in New Mexico in den 90er-Jahren erzählen, als Jakob im Auto einer Schauspielerkollegin mitfuhr und sie in der Wüste eine fremde Frau überfuhren und tot zurückließen. Luzie ist ob der Information schockiert und verweigert die USA-Reise mit ihrem Vater, der für seine Schauspielkarriere einen Künstlernamen gewählt hat: Jakob nach seinem Onkel, der zeitlebens zu „den Komischen“ des Dorfes gehörte und als eine Art Faktotum im Familienhotel lebt und Thurner nach seiner Großmutter, weil sein erster Regisseur in den USA keine Chance für ihn mit einem Namen mit vier aufeinanderfolgenden Konsonanten sah und die Variante „Jakob Gestirn“ nicht des Rätsels Lösung war. Es sind Teile der Informationen, die Thurner vor gut zwei Jahren dem Biographen Elmar Pflegerl erzählte, dessen Manuskript Thurner vorliegt und dessen Veröffentlichung er aufgrund einer tiefen Abneigung gegen Pflegerl zu verhindern trachtet.

Die Auslöschung der eigenen Biographie

Denn letztendlich arbeitet Thurner an der Eliminierung seiner eigenen Biographie: „Ich war froh, dass im Theater Sommerpause war und meine nächsten Auftritte erst wieder in zweieinhalb Monaten sein sollten, was mir Zeit gab, die Dinge in Ordnung zu bringen. Im Augenblick konnte ich mir nicht vorstellen zu spielen, und zum ersten Mal nahm ich den Gedanken ernst, überhaupt damit aufzuhören, und nicht nur damit aufzuhören, sondern die Spuren, die von mir in der ganzen Welt existierten, zu verwischen, ja, wenn möglich, auszulöschen, so schwierig sich das gestalten würde.“ Mit dem literarischen Verfahren der Auslöschung einer Biographie rückt Norbert Gstrein noch näher an seinen Kollegen Thomas Bernhard.

Ein spektakulärer Roman von Norbert Gstrein

Dass sein Protagonist sich von der eigenen Vergangenheit lossagen möchte, verwundert nicht, wurde die Figur von Gstrein als eine streitbare und für viele wahrscheinlich auch unsympathische konzipiert. Immerhin hinterfragt der narzisstische Jakob Thurner im Verlauf des Romans alle über ihn bekannten „Wahrheiten“, er stellt sich der elementaren Frage nach der eigenen Identität, arbeitet sich an der für ihn zum persönlichen Drama erdenden Schuldfrage ab, und entwickelt in seiner inneren Zerrissenheit einen zunehmenden Selbstekel.  Norbert Gstrein spielt gekonnt mit den Fallstricken der Gewissheiten, Wahrscheinlichkeiten, Möglichkeiten und Täuschungen. Ein spektakulärer, nonkonformistischer (Meta-)Roman, mithin satirisch gefärbt und schlicht brillant erzählt. Wie geschaffen für die zahlreichen Buchpreise.

Norbert Gstrein: „Der zweite Jakob“, Hanser, Hardcover, 448 Seiten, 978-3-446-26916-3, 25 Euro. (Beitragsbild von Oliver Wolf)

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