Würdevoll, wild und schwermütig. Nick Cave And The Bad Seeds auf der „Wild God“-Tour in der Hamburger Barclays Arena
Text und Fotos von Gérard Otremba
Nach Auftritten in Oberhausen und Berlin (Sounds & Books berichtete über den zweiten Gig am 30.09.) erlebte nun Hamburg die spektakuläre Show von Nick Cave And The Bad Seeds auf der Tour zum auch von uns rezensierten, aktuellen Album „Wild God“. Pünktlich um 20.30 Uhr betraten am 08.10.2024 die Bad Seeds in der Besetzung Georg Vjestica (Gitarre), Colin Greenwood (Bass), Larry Mullins (Schlagzeug), Jim Sclavunos (Percussion), Warren Ellis (Violine, Gitarre und alles andere, was ihm in die Finger fällt), Carly Paradis (Keyboard) samt vierköpfigem Gospelchor sowie Nick Cave die Bühne der mit gut 10 000 Besuchern gefüllten Hamburger Barclays Arena. Man war schon 2017, als Cave letztmals mit den Bad Seeds in Hamburg in der Sporthalle spielte (Sounds & Books berichtete), vom australischen Kultsongwriter völlig angetan.
Neun Songs von „Wild God“ auf der Setlist
In der Rolle des pastoralen Rockstars ging Nick Cave damals voll auf, eine neue Zutraulichkeit den Fans gegenüber offenbarte sich. Vor zwei Jahren kulminierte die vertrauliche Hinwendung mit einem ständigen Auf- und Abschreitens eines schmalen Stegs vor der ersten Reihe und dem permanenten Händeschütteln beim Konzert vor über 20 000 Besuchern in der Berliner Waldbühne (Sounds & Books berichtete). In der Barclays Arena setzte sich der Trend fort. Bereits beim Opener „Frogs“ hielt es Nick Cave nicht lange in der Bühnenmitte aus und schon recht bald zog es ihn zu seinen Hardcorefans in den ersten Reihen. Bis auf gelegentliche Ausflüge zurück ans Klavier blieb der nunmehr 67-Jährige beim zweieinhalb Stunden dauernden Konzert stets auf Tuchfühlung zu den Besuchern. Bis auf „As The Waters Cover The Sea“ standen alle anderen neun Stücke von „Wild God“ auf der Setlist in Hamburg.
Neben „Frogs“, „Wild God“ und „Song Of The Lake“ später mit „Long Dark Night“ das wohl schönste Lied der neuen Platte, nicht ganz zufällig bei S&B auf Platz 1 der Top-Ten-Songs im August 2024.
Nick Cave und die Schwermut
Das Schöne überwog an diesem Abend, die Wildheit indes fehlte nicht. Beim Grande Finale von „Jubilee Street“ war Cave kaum mehr zu bändigen, das anschließende „From Her To Eternity“ glich mit Verzögerungstaktik mal wieder einem Ritt auf der Rasierklinge, „Tupelo“ nervös und fies wie eh und je und „Red Right Hand“ erlebte endlich den gebührenden Rahmen einer Großhalle – die übrigens einen hervorragenden Sound bot –, um das markante Geklöppel so bombastisch wie möglich erschallen lassen zu können. In der Mitte verlor das Konzert leicht an Spannung. So schön die Balladen „Bright Horses“, „Joy“ und „I Need You“ auch sind, dazwischen ein „Deanna“ oder „Higgs Boson Blues“ hätte der Überhand nehmenden Schwermut einen produktiven Kontrapunkt versetzt. Aber das gleicht einem Jammern auf hohem Niveau, schließlich lieben wir die melancholische Seite Caves genauso wie die wilde und rohe.
Nick Caves Liebe
Und gegen ein so betörendes und inbrünstig vorgetragenes Lied wie „Conversion“ ist jede Gegenwehr zwecklos. Eine überwältigende Offenbarung dieser Song, wie auch das gesamt Konzert von Nick Cave & The Bad Seeds. Und immer wieder die Nähe zu den Fans, die ihr Idol schon festhalten müssen, damit dieser beim Singen nicht vornüber aus sie fällt. Seine Gesten den Fans gegenüber gingen schon sehr nah, seine Botschaften erfüllten die Halle mit Liebe, ein Auftritt der nachhallen sollte. Würdevoll und majestätisch endete diese fabelhafte Performance mit „White Elephant“ und nach zweieinhalb Stunden saß Nick Cave allein am Piano sang mit seinen Fans das unfassbar traurige „Into My Arms“ und die Welt war gut. Beseelt machte man sich auf den Heimweg und sehnte sich schon nach dem nächsten Cave-Gig in Hamburg.
Der „vierköpfige Gospelchor“ hätte auch eine namentliche Erwähnung verdient, immerhin haben sie Nick Cave stimmlich supportet, so dass auch das melodische in den Stücken zur Geltung kam.
Sonst alles genauso wie hier geschrieben. Ein unfassbar toller Abend.
Was ist denn bitteschön an einer Liebeserklärung wie „Into my arms“ „unfassbar traurig“???
Pianospiel, Melodieführung. Dieses Lied hat mich schon beim Erscheinen zum Weinen gebracht. Und daran hat sich nichts geändert.
Danke, lieber Gerard, für diese schon kurz nach Konzertende in Hamburg so eindrücklich und zutreffend gelieferte Analyse. Ja, genauso war‘s (inklusive des kleinen balladigen Hängers in der Setlist zur Mitte dieser grandiosen zweieinhalb Stunden Rock-Gospel-Messe, wie auch schon in Berlin). Abgesehen davon, ist Nick Cave inzwischen als Performer auf Augenhöhe mit dem Boss.
Moin aus Bremerhaven, nach dem Auftritt des Supports Dry Cleaning befürchtete ich das schlimmste, dieser Auftritt war unerträglich laut mit einem grottenschlechten Sound, aber jetzt bin ich beseelt. Nick Cave and the Bad Seeds, es war grandios! Eine Band , die mitreißend spielte, der Chor mit wunderschönen Gesang und der Meister Nick Cave, der immer noch jungenhaft wirkt, haben für eines der besten Konzerte in meinem 65 jährigen Leben gesorgt. Dafür ganz großen Dank. Ein perfekter Abend mit einem wirklich sehr guten Sound (bitte es geht doch auch in sehr großen Hallen).