Musa Dagh live im Nachtleben, Frankfurt 2023

Musa Dagh live Frankfurt 2023 Nachtleben by Michael Thieme Sounds & Books

Musa Dagh, die Newcomer mit tonnenweise Renommee, beim Ein-Drittel-Heimspiel im Frankfurter Club Nachtleben am 23.05.2023

Text und Fotos von Michael Thieme

Die Reaktion des Twitterusers, der auf dem allerersten Musa Dagh Konzert überhaupt zugegen war (Hamburg, 17.5.2023), war schon recht putzig: „…der Gitarrist den kompletten Gig am Dauerstrahlen, der Sänger musste gegen Ende die Lyrics ablesen weil er so aufgeregt war weil es ‚ihr erster fucking Gig als Band war’“. Als würde hier keine Formation auf der Bühne stehen mit tonnenweise Renommee. Gerade in Frankfurt, der Heimat von dem Gitarristen Aren Emirze, den man ja eventuell kennen könnte als Liedermacher Emirsian oder als Mitglied von Taskete. Oder von Harmful. Oder, davor noch

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in den Neunzigern: Rinderwahnsinn.

Dabei wurden Bühnen geteilt und Konzerte eröffnet für Bands wie Faith No More (deren Bassist Billy Gould spielte eine Weile bei Harmful Gitarre), Helmet, Melvins, Paradise Lost etc.pp. Ein Drittel Heimspiel also, wie auch die Gigs in Köln (Wahlheimat des Sängers Aydo Abay) und Wien (Wahlheimat des Drummers Sascha Madsen). Die könnte man, lieber Twitter-User, eventuell kennen von Blackmail oder Abay (Aydo Abay) bzw. Madsen (Sascha Madsen). Die Gästeliste im Frankfurter Club Nachtleben war naturgemäß also kilometerlang;  Emirze wurde nicht müde, Freunde oder Familie zu erspähen und zu begrüßen.

Energie!

Das schöne an dieser „Newcomer“-Band scheint allerdings wirklich zu sein, dass hier auf Renommee geschissen wird. Hier haben Leute Bock. Keinen Tag Pause bisher –  jeden Abend wird gespielt vom 17.5. an bis zum heutigen Mittwoch in Berlin, auf anscheinend konstant hohem Energielevel. Ohne Vorband.

Einlass wie Konzertbeginn geschah eine halbe Stunde später als auf der Karte gedruckt, das wusste augenscheinlich jede(r) außer mir. Um 20.30 war der schummrige Kellerclub, indem äußerst sparsam mit der dort sowieso nicht gerade inflationär vorhandenen Beleuchtung umgegangen wurde, sehr gut gefüllt mit verbliebenen Möglichkeiten für Bewegung oder Getränkenachschub. Emirze war vor Motivation und Heimspielfreude nicht zu bremsen und versuchte seine nostalgischen Gefühle mit seinen Bandpartnern zu teilen: „Nachtleben. Hach. Wie oft habt Ihr hier eigentlich schon gespielt?“ Sascha Madsen: „Noch nie.“ Die Ochsentour durch die Frankfurter Clubs, sie blieb dem Madsen-Drummer bisher erspart.

Musa Dagh und Frankfurts Gitarrenszene

Mit dem gleichnamigen Instrumentalstück über den Berg im Süden der Türkei, welcher das Debütalbum Musa Dagh abschließt wurde laut vom Band gestartet, „Me Two“, der Closer des aktuellen Zweitlings „No Future“ folgte umgehend. Aydo Abay auf der rechten Bühnenseite wirkte anfänglich recht schüchtern, vor allem im Vergleich zu seinem euphorischen Partner Emirze zur Linken, doch das legte sich mit der Zeit. Tänzelnd, scherzend und dabei so ausdrucksstark mit individueller Klangfarbe singend, wie es wenige Kollegen seiner Zunft so gut hinkriegen, sang er sich (ohne nochmal Lyrics nachlesen zu müssen) durch das komplette aktuelle Album plus durch fünf Stücke des Debüts. Nach einer Stunde war das dann auch schon durch.

Diese Stunde jedoch hatte in Sachen Energie, Spielfreude oder Positivität weit mehr zu bieten, als sonst in 60 Minuten hineinpassen. Dass Frankfurt „eine coole Szene mit Gitarrenmusik“ hat, wie Emirze zum Ende hin glücklich schwitzend bemerkte und dazu den Aufruf startete: „Lasst uns die Szene wieder aufbauen!“ stieß bei den Anwesenden, die zum Teil selber einiges an musikalischen oder humoristischen Aktivitäten in der Vergangenheit vorzuweisen hatten, naturgemäß auf geneigte Ohren. Die Wahl der Mittel, um relevante Kultur oder Musik zu schaffen, wird jedoch mit großer Wahrscheinlichkeit an anderen Orten sowie von jüngeren Menschen getroffen. Nicht nur in Frankfurt. Dort wurden jetzt dafür tonnenweise Schultern geklopft und Freunde umarmt – und das ist doch auch was Feines.

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