Miku Sophie Kühmel, das neue Erzähltalent der deutschsprachigen Literatur
Sie sind seit zwanzig Jahren ein Paar. Der Archäologe und Uniprofessor Max sowie der weltweit gefeierte Künstler Raik. Sie könnten mittlerweile heiraten, tun es aber zur Verblüffung anderer nicht. Sie könnten das runde Jubiläumsjahr im großen Rahmen feiern, tun es aber nicht. Stattdessen ziehen sich die beiden Berliner Hipster in ihr Ferienhaus in Brandenburg zurück. Das feierliche Wochenende verbringen die beiden lediglich mit ihrem alten Freund Tonio und dessen Tochter Pega. Tonios Beziehung zu Raik datiert bereits aus der Prä-Max-Ära und noch im späten Teenageralter wurde er ungewollt Vater. Seine damalige Sexpartnerin wollte keine Nachkommen, nur Tonios inbrünstiges Insistieren, er werde das Kind auch allein aufziehen, verhinderte die Abtreibung.
Genaue, adjektivreiche Sprache
Gemeinsam mit Raik und Max zog er Pega groß, die nun mit Anfang 20 u.a. bei Max studiert. Umgekehrte Voraussetzungen in der der Erziehung Pegas, schließlich wuchsen alle drei Herren mehr oder weniger vaterlos auf. Während des Wochenendes bröckelt das Beziehungsgeflecht dieser vier innig zueinanderstehenden Menschen, die sich unbequemen Wahrheiten stellen müssen. Miku Sophie Kühmel schildert die Geschichte in längeren Kapiteln aus der Perspektive der einzelnen Protagonisten, lediglich von theaterstückhaften Dialogen unterbrochen sowie von einer auktorialen Einleitung und eines ebensolchen Epilogs eingerahmt. Die 1992 in Gotha geborene Schriftstellerin bedient sich in ihrem Debütroman einer genauen, adjektivreichen Sprache, mit der sie alle Zustände und Stimmungen bis ins kleinste Detail ausführlich beschreibt. Für Interpretationsspielraum lässt sie zwar wenig Platz, findet aber für jeden einzelnen ihrer vier Hauptpersonen die exakt passenden und angemessenen Worte.
Miku Sophie Kühmel und der moderne Familienroman
Das alles funktioniert ganz hervorragend, weil Miku Sophie Kühmel eine ausgezeichnete Erzählerin ist. Mag das Setting von „Kintsugi“ für einige sehr konstruiert wirken, Kühmels zwischen berührend-intim und unterkühlt-distanziert changierende Sprache ist es nicht. Ein moderner, Traditionen negierender Familien- und Beziehungsroman, der von biographischen Brüchen kündet und vielleicht überraschend, aber nicht zu Unrecht auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises steht. Miku Sophie Kühmel entpuppt sich als ein neues Erzähltalent der deutschen Literatur, von dem wir hoffentlich noch viel lesen werden.
Miku Sophie Kühmel: „Kintsugi“, S. Fischer, Hardcover, 304 Seiten, 978-3-10-397459-1, 21 € (Beitragsbild: Buchcover).