Michelle Steinbeck: Mein Vater war ein Mann an Land und im Wasser ein Walfisch – Roman

Plakative und aufgesetzte Prosa, Therapiestunde inklusive

von Gérard Otremba

Der Debütroman der 1990 geborenen Schweizer Autorin Michelle Steinbeck ist mindestens befremdlich und prinzipiell ein Ärgernis. In Mein Vater war ein Mann an Land und um Wasser ein Walfisch (ein Titel, fast so lang wie der mit 150 Seiten sehr kurze Roman) spielt die in Basel und Zürich lebende Steinbeck permanent mit alptraumhaften Bildern, die den Leser abschrecken und verstört zurücklassen. Die junge Loribeth macht sich auf die Suche nach ihrem Vater, der die Familie vor Jahren verlassen hat. Eine Wahrsagerin weist ihr den Weg.

Der Vater steht dir im Weg. Er schirmt dich ab von allen Glückskarten. Die höchste Geldkarte liegt da, die Erfolgskarte auch! Gib dem Vater seinen Koffer zurück, und du wirst überschüttet mit Liebe, Ruhm und Gold.

Im Koffer schleppt Loribeth ein totes Kind mit sich, das jedoch während der Reise immer wieder Geräusche von sich gibt. Auf dieser phantastisch-märchenhaften (von den Märchen bleibt hier aber nur das Schauderhafte übrig) Vatersuche begegnet Loribeth allerhand merkwürdige Personen, sprechenden Doggen und sogar einem fliegenden Auto. Auf einem Schiff lernt Loribeth Fridolin kennen, der ihr zwar seine Liebe gesteht, aber nichts Aufbauendes zum Inhalt beiträgt.

Hör meine Geschichte. Meine Mutter hatte zwei weisse, fest eingewickelte Babys; sie sahen aus wie fröhliche Maden. Das ein war kleiner und hatte mehr Löckchen und Schleifchen und Spitzen um den Kopf. Es stürzte in die Tiefe, und der Kopf war Matsch. Meine  Mutter meinte, das sei die Natur. Sie machte ein neues und wir gingen alle auf den Jahrmarkt.

Und so geht das in einem fort. Ein abstruses und ekelhaftes Bild folgt dem nächsten. Auf der „Insel der geflohenen Väter“ findet Loribeth ihren Vater (der laut Angaben der Mutter nie ein Kind wollte), die unausweichliche Therapiesitzung beginnt. Man wird beim Lesen von Mein Vater war ein Mann an Land und im Wasser ein Walfisch das Gefühl nicht los, dass sich eine junge Frau ihren Weltekel von der Seele geschrieben hat (dankenswerterweise reicht es nur für die oben bereits erwähnten 150 Seiten und trotzdem verliert man schon nach 20 Seiten die Lust auf die Lektüre). Das ist natürlich nicht verwerflich, das hat Thomas Bernhard auch getan. Allein, mit welcher Intensität und sprachlichen Gewandtheit, von der Michelle Steinbeck in dem vorliegenden Fall Lichtjahre entfernt ist.

Der Roman neigt zu einer Art metaphorischem Extremsymbolismus mit Hang zum Surrealismus und beiläufigen Zynismus. Belletristik im wörtlichen Sinne der schönen Literatur kann man diesen Roman nicht nennen. Diese Prosa ist plakativ, aufgesetzt, abgehackt, zusammengeschustert und alles andere als „sinnlich“, wie es der Rückentext des Buches verspricht. Und: Michelle Steinbeck kann nicht erzählen. Diesem Roman fehlt schlicht jeglicher Erzähl- und Lesefluss. Am Ende von Mein Vater war… schmeißt sich Loribeth eine Tablette ein und begibt sich in „eine runde, weiche Drogenhöhle.“ Es stellt sich die Frage, welche Drogen Michelle Steinbeck während des Schreibprozesses konsumiert hat. Es müssen die falschen gewesen sein.

Michelle Steinbeck: „Mein Vater war ein Mann an Land und im Wasser ein Walfisch“, Lenos, Hardcover, 153 Seiten, 978-3-85787469-7, 18 €.

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Kommentare

  • <cite class="fn">Eva Jancak</cite>

    Ist ein Anfängerroman einer Sprachkünstlerin würde ich meinen und vielleicht auch das Gesellenstück beim Literaturinstitut.
    Ich habs als erstes unter sehr erschwerten Umständen gelesen, nämlich als E-Book auf einer Alm, also diesen theoretischen Text mit Null Vorkenntnissen über Inhalt und Biografie während Gespräche um mich herum waren.Ich hab meine Ergebnisse dann mit denen der Frau Heidenreich vom Schweizer Literaturclub verglichen und bin drauf gekommen, daß wir gleich empfunden haben, es nur anders ausdrücken.
    Als krankhaft würde ich es nämlich nicht bezeichnen, da habe ich schon anderes gelesen, wo ich mir größere Sorgen machen würde.
    Die Aggression gegen Kinder, die irgendwie in der gebotenen Schärfe neu ist, ist mir allerdings auch aufgefallen.
    Als schlechten Roman würde ich es auch nicht bezeichnen und Frau Steinbeck das Talent absprechen.
    Das hat sie ,glaube ich wohl, eine neue Herta Müller oder Friederike Mayröcker vielleicht, aber halt noch sehr jung und wahrscheinlich noch nicht wirklich viel Ahnung über das was da geschrieben wurde.
    Bin gespannt, was ich von der Autorin noch lesen oder hören werde und verstanden habe ich auch nicht sehr viel und das ist ja etwas, was mir nicht sehr gefällt.
    https://literaturgefluester.wordpress.com/2016/08/30/mein-vater-war-ein-mann-am-land-und-im-wasser-ein-walfisch/
    Auf die Shortlist wird es wohl nicht kommen, Anna Weidenholzer https://literaturgefluester.wordpress.com/2016/09/07/weshalb-die-herren-seesterne-tragen/ die ja irgenwie, obwohl erfreulich realistischer , damit zu vergleichen ist, aber vielleicht auch nicht.

  • <cite class="fn">Marius</cite>

    Ach du meine Güte – das klingt ja alles eher abschreckend. Hast du irgendeine Idee, was die Jury für die Aufnahme des Buchs in die Longlist bewogen haben könnte?

    • <cite class="fn">Gérard Otremba</cite>

      Gute Frage! Ich vermute, dass die große Vielfalt, die Varianten des literarischen Ausdrucks da vielleicht eine Rolle spielen. In der Schweizer Presse gab es durchaus einige sehr positive Rezensionen.

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