Ein diskussionswürdiger Roman, aber kein Skandal-Buch
von Gérard Otremba
Es ist ein erstaunliches Medienphänomen. Gibt man in der Suchmaschine die Stichworte „Houellebecq Unterwerfung Skandal“ ein, erhält man über 32000 Ergebnisse. Der neue Roman des französischen Autors Michel Houellebecq wurde bereits zum Skandal-Buch hochstilisiert, bevor es überhaupt auf dem Markt erschienen war. Nach dem Lesen der Lektüre stellt sich allein die Frage: Wieso eigentlich? Vielleicht war es nur die Kombination aus Houellebecq und Islam, die im Vorfeld in vielen Köpfen einen Skandal heraufbeschwor. Michel Houellebecq ist zweifellos ein streitbarer Geist, doch wie langweilig wäre eine internationale Literaturszene ohne polarisierende Schriftsteller?
Houellebecq nun aber ständig in die Skandal-Ecke zu drängen, wird dem Autor nicht gerecht. In Unterwerfung skizziert Houellebecq, der mit seinen Werken Ausweitung der Kampfzone und Elementarteilchen bekannt wurde, ein mögliches Zukunftsszenario unseres französischen Nachbarlandes im Jahre 2022. Der 44 Jahre alt werdende Ich-Erzähler François, Literaturprofessor an der Sorbonne, suhlt sich in seiner postmodernen Larmoyanz, hat Affären mit halb so jungen Studentinnen und verfolgt wie nebenbei die neue Regierungsbildung unter Mohammed Ben Abbes, dem Kandidaten der gemäßigten fiktiven Partei Bruderschaft der Muslime, der mit den Sozialisten paktiert, um eine Regierung des Front National von Marine Le Pen zu verhindern.
In der Folge der neuen Machtverhältnisse kann François seiner Lehramtstätigkeit zunächst nicht weiter nachgehen, die Sorbonne wird vorübergehend geschlossen und einem religiösen Wandel unterzogen. Mit der Konversion zum Islam stünden François die Türen wieder offen. Auf sprachlich hohem Niveau erweist sich Michel Houellebecq in Unterwerfung zunächst als großer Satiriker und scharfer Zyniker, einem Thomas Bernhard nicht unähnlich, bevor literaturwissenschaftliche, philosophische und religiöse Abhandlungen und Gespräche in den Mittelpunkt rücken. Pornographische Sexdarstellungen gehören zu den typischen Houellebecq-Ingredienzien, skandalös ist das schon oder noch lange nicht. Frankreich erhält in Unterwerfung eine neue, vom Staat verordnete Religion übergestülpt. Das ist ebenfalls nicht skandalös, sondern diskussionswürdig. Womit Michel Houellebecq als Autor seinen Dienst erfüllt hat. Und die Aussichten für François sind als Mann nicht die schlechtesten: Strenges Patriarchat, offizielle Vielweiberei zur Stärkung der Großfamilie, reiche Sponsoren aus Saudi-Arabien und das von François durchaus geschätzte Schlückchen Alkohol ist ebenfalls erlaubt.
Klingt alles nach einem feuchten Wunschtraum diverser CSU-Politiker mit unterschiedlicher Staatsreligion. Nein, ein Skandal-Roman ist Unterwerfung von Michel Houellebecq nicht, aber ein wunderbare Satire auf das kapitalistische Abendland. Dass die Anschläge auf die Charlie Hebdo-Redaktion just mit der Veröffentlichung der französischen Roman-Ausgabe zusammenfielen, ist schicksalhafte Historie und heizte die Debatte ein, Schuld an diesem islamistischen Terror hat Houellebecq sicher nicht, trotz früherer Aussage, der Islam sei mit Abstand die dümmste aller Religionen, von der er sich nach der Lektüre des Koran wieder distanzierte. Von skandalträchtiger Islamkritik ist in Unterwerfung wenig zu spüren. Nun können wir alle wieder unsere Nerven beruhigen, ein gutes Buch lesen, denn das ist Unterwerfung von Michel Houellebecq zweifellos, und darüber in aller gebotener Ausführlichkeit disputieren.
Michel Houellebecq: Unterwerfung, Dumont Verlag, Hardcover, 978-3-8321-9795-7, 22,99€.
[…] dass in dieser Woche mehrmals und intensiv besprochen wurde (siehe z.B. hier, hier und hier als kleine Auswahl, die ich gefunden habe). Alle kommen zu dem Urteil, dass die Aufregung um […]
„… wie langweilig wäre eine internationale Literaturszene ohne polarisierende Schriftsteller?“ – der Satz bringt es irgendwie auf den Punkt. Genau deshalb reden ja nun alle über „Unterwerfung“. Weil der Roman so herrlich unangepasst ist. Deine gesamte Rezension zu lesen, hat mir gefallen, so kurz und knapp. Dennoch sagst du so viel. Danke dafür und ein schönes Wochenende.
Vielen Dank für das Kompliment. Mir sind durchaus noch mehr Gedanken durch den Kopf geschossen, allein das hätte mich zu viel Zeit gekostet, alles niederzuschreiben. Schöne Grüße, Gérard
[…] ebenfalls bei Pop-Polit und […]
http://www.zeit.de/2015/04/michel-houellebecq-unterwerfung-charlie-hebdo-frankreich-radikalisierung#comments
Der Typ ist nicht mein Fall, aber der Schmöker scheint durchaus interessant…
Viele Grüße,
Gerhard
[…] http://pop-polit.com/2015/01/23/michel-houellebecq-unterwerfung-roman/ […]
Hallo, vielen Dank für die Rezension. Das klingt in der Tat nach einem interessanten Buch, dummerweise ist die Stimmung gerade mächtig erhitzt, was eine unbefangene Auseinandersetzung mit dem Buch unnötig erschwert. Gerade deswegen ist so ein kleiner Einblick Gold wert.
Sehr gerne. Aber man kann das Buch durchaus genüßlich in aller Ruhe lesen.
🙂 dafür muss man es erst einmal anfassen 😉 und genau dafür sorgt ja so ein offener Bericht.