Metric: Formentera – Albumreview

Metric credit Justin Broadbent

Leichte Sounderweiterungen machen das neue Metric-Album „Formentera“ auch für Neu-Einsteiger interessant

Mitten im Sommer, wenn sich die Meisten unter uns auf den wohlverdienten Urlaub freuen und abwägen, ob sie sich endlich mal wieder einen Auslandstrip gönnen sollten oder aufgrund der pandemischen, ökologischen oder personellen Lage am Flughafen überlegen, sich das doch lieber nervenschonend zu klemmen, veröffentlichen Metric aus Kanada am kommenden Freitag ihr inzwischen achtes Studioalbum „Formentera“. Formentera? Die kleine Schwester von Ibiza, von dort nur mit einer Fähre zu erreichen, weil sie keinen eigenen Flughafen hat, steht bei dem Quartett vom amerikanischen Kontinent als Platzhalter für irgend ein „Traumziel“: wahrscheinlich schön da und weit weg –  sowas wie für uns Europäer mit schmalerem Geldbeutel vielleicht die Seychellen oder Koh Samui. „Wir haben lange Zeit in unserer Fantasie gelebt, weil wir physisch nirgendwo anders hingehen konnten“, wird James Shaw (Gitarre) dazu im Promozettel zitiert.

Vokaler Schönklang

Metric Formentera Cover Metric Music

Eingeleitet wird „Formentera“ mit dem über zehnminütigem „Doomscroller“, dem längsten Studio-Stück, welches Metric in ihrer fast fünfundzwanzigjährigen Karriere veröffentlicht haben. Merkwürdig, dass das jetzt erst als Titel auftaucht; stellt die Tätigkeit des Doomscrollings, bei der man entsetzt von einer üblen Nachricht zur nächsten wischt um fassungslos den letzten Rest Glaubens an die Menschheit zu verlieren, doch inzwischen die Hauptbeschäftigung vieler Menschen in ihrer knapp bemessenen Freizeit dar. Ein sehr dynamisches Stück, bei dem Sängerin/Pianistin/Keyboarderin Emily Haines (ebenso aktiv beim Kollektiv Broken Social Scene sowie mit ihrer eigenen Band Emily Haines & The Soft Skeleton) ihren vokalen Schönklang auf diverse Weise zum Ausdruck bringt, während im Hintergrund wavige Gitarrenatmosphäre mit rhythmischem Geballer sphärisches Einlullen kontrastiert.

Das bisher Größte von Metric

Das ist weniger Formentera als Ibiza, aber schon sehr geil. „For a true doomscroller (…) , I can’t seem to shut it down until the worst is over. And it’s never over.“ berichtet Haines dabei. Sad but true. Ein Mördereinstieg; meiner subjektiven Meinung nach das Größte, das ich je bisher von Metric hören durfte. Danach muss das Album zwangsläufig abflauen: tut es auch, aber sehr gemächlich, weitere Perlen folgen. Zum Beispiel gleich anschließend „All Comes Crashing“. Thematisch folgerichtig geht es um die letzte Nacht unseres Lebens und wie bzw. mit wem wir diese verbringen möchten. Das ist wohl nicht nur romantisch gemeint: Es geht um Familie, wie immer man diese definieren mag, und darum seine Lieben bei sich zu haben. „I’d be with you, and there’s no one I would rather be dying beside“ singt Haines; Shaw gniedelt dabei erlesen am Rand – nichts klingt dabei traurig oder melancholisch, sondern strikt lebensbejahend. Toll.

Wichtige und interessante Themen

Waviger und tanzbar wird’s bei „What Feels Like Eternity“, gefolgt vom Titelsong, der mithilfe von Streichern eine Schwermut aufbaut, die mal so gar nicht zu der Insel passt, die, wie gesagt, ja nur als Platzhalter für einen Sehnsuchtsort gewählt wurde. Trippige Bässe lösen diese Schwermut allerdings rasch auf, Haines flötet überirdisch und eine träumerische Lässigkeit macht sich breit, die wiederum diesem Ort durchaus gerecht wird. Ein Drink an der Blue Bar und den Blick streifen lassen über den schier endlosen Playa de Migjorn, dazu dieser Song: Ja, das passt.

Nicht jede der folgenden Nummern hält musikalisch das bisher präsentierte Niveau – einiges, wie „Enemies Of The Ocean“, klingt beliebiger oder weit weniger spannend. Trotzdem bleiben die von Enmily Haines verarbeiteten Themen wichtig sowie interessant – und das Zusammenspiel von Schlagzeug, Elektronik und Gitarre liefert im schlimmsten Fall dazu einen Teppich, der keine Wohlfühlzone verlässt. Gerade im Zusammenhang mit den Texten Haines‘ ist das jedoch schon wieder spannend bis subversiv. Fans von Metric können zufrieden zugreifen, die leichten Sounderweiterungen machen das Album allerdings auch für Neu-Einsteiger interessant. 

„Formentera“ von Metric erscheint am 08.07.2022 bei Metric Music / Thirty Tigers / Membran. (Beitragsbild von Justin Broadbent)

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