Metallica: 72 Seasons – Albumreview

Metallica credit Tim Saccenti

Retrospektives gibt es auf dem neuen Album „72 Seasons“ von Metallica, der größten Metalband des Planeten

Jeder hat eine Meinung zu Metallica, selbst Menschen, die eigentlich gar keinen Metal mögen. Im Unterschied zu den wenigen Kollegen, die ebenso große Stadien füllen wie das Quartett aus Kalifornien, ziehen Metallica eine Menge Supporter aus artfremderen Lagern und sind deswegen im Gegensatz zu Iron Maiden eben auch Thema für die Nicht-metalpresse. Thrash-Metalfans, die vor mehr als 40 Jahren Metallicas erste musikalische Gehversuche gefeiert haben und ohne sowas wie dem Internet ganze Touren mitfuhren (zum Beispiel im Vorprogramm von Venom) um ja keinen Liveton dieser sensationellen Youngster zu verpassen, haben sich hingegen längst von der Cashcow, die demnächst auf einem Festival in den USA neben Tool, Maiden oder Guns n‘ Roses für 600 $ plus diversen Gebühren zu sehen sein wird (für Interessenten: https://powertrip.live/), aus guten Gründen abgewandt.

Auch aus musikalischen. Das ist nicht

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schlimm, im Gegenteil: Entwicklung ist gut und wichtig, niemand braucht immer wieder neue Alben mit dem selben Krempel drauf wie immer, außer die Alben waren von Motörhead oder den Ramones. Wagemutig sowie risikobereit waren Metallica darüber hinaus schon immer, wie ihre öffentliche Bandtherapie in „Some Kind Of Monsters“ zeigte oder ihr Versuch, so etwas wie Avantgarde-Rock mit Lou Reed zu schaffen („Lulu“ von 2011 wartet immer noch auf den posthumen Ritterschlag, den sogar Metallicas Blechtrommel-Album „St. Anger“ (2003) irgendwann zurecht erhielt).

Metallicas Hinterlassenschaft

Metallica cover 72 Seasons Universal Music

Wird es also jemanden, der „Master Of Puppets“ (1986) für eines der herausragendsten Metalalben aller Zeiten hält, irgendwo jucken, dass Metallica ihr 11. Studioalbum nach einer siebenjährigen Pause am heutigen Tag veröffentlicht haben? Nicht unbedingt. Werden Menschen, die das sogenannte „schwarze Album“ („Metallica“, 1991) feiern, sich über diesen Release freuen? Schon eher. Fans von „Load“ (1996) oder „Reload“ (1997)? Auf jeden Fall. Freunde ihrer letzten Studio-Veröffentlichung „Hardwired…To Self Destruct“ (2016)? Es ist zu vermuten, dass diese sowieso alles fressen mit dem Metallica-Logo drauf. Doch es gibt keinen Grund zur Häme: „72 Seasons“ ist ein gutes Album geworden, nicht nur für Hardcore-Fans. Gitarrist und Texter James Hetfield, der unlängst eine weitere Entziehungskur absolvieren musste nach jahrelangem Alkoholverzicht, macht lyrisch darauf aus seinem Herzen keine Mördergrube und befasst sich mit seinen Dämonen, was seine Texte ein wenig relevanter macht.

Musikalisch bleibt der Thrash-Metal außen vor – nicht ohne Grund touren Metallica heutzutage mit Groove- oder NuMetalbands anstelle von Nachlassverwaltern wie z.B. Overkill. Wobei der Einstieg mit dem Titeltrack, der die ersten 18 Lebensjahre als 72 Jahreszeiten deutet, durchaus ein rasanter ist. Schneller wird’s nimmer in den nächsten knapp 80 (!) Minuten, die für Metallica-Verhältnisse relativ arm an Füllsel sind. „Shadows Follow“ anschließend ist allerdings eines, zumindest musikalisch. Versucht man hier aufzuzählen, welche Metallica-Songs bereits ähnliche wie gleiche Riffs und Hooks zu bieten hatten, verliert man schnell den Überblick. Kirk Hammetts Leadgitarre zwischendurch ist jedoch der Burner, wie auf dem ganzen Album.

Das Elend mit Metallica

Weitere Highlights: das bereits vorveröffentlichte „Lux Æterna“ (ok, bei diesem Track, der zudem noch am weitesten in die Speed-Metal-Anfänge der Band verweist,  wird es noch mal schneller – „Full Speed Or Nothing“ singt Hetfield dazu, vielleicht ja scherzhaft), sowie das abschließende Doppel „Room Of Mirrors“ und „ Inamorata“. „Misery she loves me, but I love her more“ beklagt James Hetfield ebenda. Feel you, bro‘. Dynamisch das Sahnestück der Platte – und wie großartig Hammett spielt wurde ja bereits erwähnt. Ein mehr als solides Album also. Die anstehende Live-Umsetzung wird dagegen, auch in unseren Gefilden, ein Luxus sein, der hinterfragbar bleibt. Gehen wir halt öfter zu Overkill.

„72 Seasons“ von Metallica erscheint am 14.04.2023 bei EMI/Universal Music. (Beitragsbild von Tim Saccenti).

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