Das Album „Deserter’s Songs“ brachte Mercury Rev vor gut 25 Jahren den Durchbruch. Kommt die US-Indie-Band mit „Born Horses“ noch einmal auf dieses hohe Niveau?
von Werner Herpell
Die Geschichte von Mercury Rev besteht aus zwei klar voneinander abgegrenzten Phasen: der Zeit vor „Deserter’s Songs“ – und der Zeit danach. 1998 ereignete sich etwas, das für eine Indie-Band Fluch und Segen zugleich sein kann: ein Kritiker- und Verkaufserfolg, der alles davor und danach in den Schatten stellt. Aus Mercury Rev, einer leicht spinnerten Psychedelic-Rock-Gruppe im Dunstkreis der ähnlich merkwürdigen Flaming Lips, wurde vor 26 Jahren plötzlich ein Indie-Dreampop-Heilsbringer. So ganz haben sich die Musiker um Jonathan Donahue (Gitarre, Gesang) und Sean „Grasshopper“ Mackowiak (Gitarre) davon nicht mehr erholt.
Eine Phase der Ratlosigkeit?
Was nicht heißen soll, dass die Nachfolge-Alben – vor allem
„All Is Dream“ (2001) und „The Secret Migration“ (2005) – ohne Verdienste gewesen wären. Mit den acht Tracks von „Born Horses“ scheinen Mercury Rev aber nun in eine Phase der Ratlosigkeit eingetreten zu sein, nachdem schon der Vorgänger „Bobbie Gentry’s The Delta Sweet Revisited“ (2019) als Hommage an einen Country-Klassiker nach Verlegenheitslösung gerochen hatte.
Als „glitzerndes Psych-Jazz-Folk-Barock-Ambient-Werk“ wird die neue Platte angepriesen, und obwohl all diese Elemente tatsächlich auf „Born Horses“ vorhanden sind, ist da doch (zumindest in den Ohren dieses Reviewers) ziemlich viel ätherisch-esoterische Klangmalerei und ziemlich wenig Songwriting-Substanz zu hören. Frontmann Donahue beschränkt sich fast völlig auf einen hellen Märchenonkel-Sprechgesang, der in schwächeren Momenten an die sirrenden Progrock-Vocals von Jon Anderson (Yes) erinnert.