Feinste psychologische Spannung
von Gérard Otremba
Melanie Raabes Debütroman Die Falle hebt sich aus dem Dickicht der zahlreichen Psychothriller wohltuend ab. Die 1981 in Jena geborene Autorin konstruiert einen raffinierten Plot, der sich mit der „Who done it“-Philosophie eines Kriminalromans nicht lange aufhält und die Auswirkungen eines Mordes auf eine unmittelbar betroffene Zeugin in den Mittelpunkt stellt. Die 38-jährige Linda Conrads ist eine über alle Maßen erfolgreiche Schriftstellerin. Alle ihre literarisch anspruchsvollen Romane werden zu Bestsellern, Privates über sie dringt kaum an die Öffentlichkeit, verschanzt sich die Autorin doch bereits seit über einer Dekade in ihrem Haus am Starnberger See. In den Medien wird eine mysteriöse Krankheit kolportiert, aber die Wahrheit ist für die Erfolgsautorin von ganz andere Natur. Vor zwölf Jahren fand sie ihre jüngere Schwester erstochen auf und blickte einem wegeilenden Mann noch kurzfristig in die Augen. Der Täter konnte nie gefasst werden, während Linda Conrads sich zurückzog und keinen Schritt mehr über die Schwelle ihres Hauses tat.
Eines Tages meint sie beim Fernsehschauen im bekannten Journalisten Victor Lenzen den Mörder ihrer Schwester wiedererkannt zu haben und verfällt nach dem ersten Schock der Idee, ihm eine Falle zu stellen. Sie schreibt einen Kriminalroman, dessen Auszüge als Buch im Buch in Die Falle integriert sind, und lädt Victor Lenzen zu einem Exklusivinterview ein, bei dem sie den Spieß umdrehen und ihm ein Geständnis entlocken möchte. Natürlich verläuft das Gespräch ganz anders als geplant, es gerät völlig aus dem Ruder und Victor Lenzen präsentiert ihr sogar ein Alibi für die Tatnacht. Hat sich Linda Conrads am Ende gar getäuscht und den falschen Verdächtigen beschuldigt? Das „Interview“ jedenfalls nimmt interessante Wendungen, taucht tief in die verstörte Psyche der Protagonistin und geht anschließend in die zweite Runde. Die Falle von Melanie Raabe ist eine spannende und facettenreiche Auseinandersetzung mit Schuld, Sühne, Wahrheit und der subjektiven Wahrnehmung. Und bestens geeignet für eine kongeniale Verfilmung.
Melanie Raabe: „Die Falle“, btb-Verlag, Hardcover, 978-3-442-75491-5, 19,99 €.