Matthias Nawrat: Die vielen Tode unseres Opas Jurek – Roman

Ein empathischer, liebenswerter und unterhaltsamer neuer Roman von Mathias Nawrat

von Gérard Otremba

Matthias Nawrat hat mit „Die vielen Tode unseres Opas Jurek“ einen wahrlich ganz zauberhaften Roman geschrieben. Für seinen 2012 veröffentlichten Debütroman Wie zwei allein erhielt der in Berlin lebende Autor den Adelbert-von-Chamisso-Förderpreis und war 2014 mit seinem zweiten Roman Unternehmer für den Deutschen Buchpreis nominiert. Diese Auszeichnung hätte der 36-jährige Autor für seinen neuen Roman Die vielen Tode unseres Opas Jurek durchaus verdient.

Der 1979 im polnischen Opole geborene Nawrat erzählt in Die vielen Tode unseres Opas Jurek die Geschichte eben jenes Opas Jurek aus der Sicht seiner beiden Enkel, die das Begräbnis ihres Opas in den 90er Jahren zum Anlass nehmen, sich an viele der legendären, zumeist tragischen Begebenheiten seines Lebens zu erinnern. Die zwei sich am Anfang der Teenagerzeit befindlichen Enkel sind mit ihren Eltern kurz vor dem Zusammenbruch des Ostblocks nach Deutschland ausgewandert, besuchen Opole zwecks Opas Beerdigung wieder, springen während ihrer Erzählung in der Chronologie munter hin und her und geben gleichzeitig Einblicke in die Historie Polens des letzten Jahrhunderts.

Das tun sie mit einer gehörigen Portion Schalk im Nacken, so dass sich ein ironischer, teils absurder und grotesker Schelmenroman entwickelt. Ihr Opa Jurek erlebt als junger Mann die Besetzung Warschaus durch die Nazis, überlebt das erste KZ in Auschwitz mit Mühe und Not und wird im Laufe seines Lebens zu einem wahren Helden der Überlebenskunst. Nach dem Krieg zieht es ihn ins oberschlesische Opole, wo er Direktor des Warenhauses „Paradies“ wird. Er ist Geschäftsmann durch und durch, doch von einer missgünstigen Mitarbeiterin denunziert, verliert er den Job, kommt in Haft und wird zu seinem weiteren Unglück von der Großen Gemeinsamen Partei ausgeschlossen. Als Leiter einer sogenannten Feriensiedlung und als privater Händler in Budapest gerät Opa Jurek vollends zur tragikomischen Figur, und das alles nur, um dann doch einer schweren Krankheit zum Opfer zu fallen. Am Ende wiegt er nur noch 38 Kilogramm, das Gewicht, das er nach Auschwitz ebenfalls hatte.

Der vielen Unbill im Leben von Opa Jurek zum Trotz, nähert sich Matthias Nawrat seinen Figuren auf die vielleicht einzig mögliche Art, mit hintersinnigem Humor, der einem manchmal im Halse stecken bleibt, manchmal schmunzeln lässt und manchmal zum lauten Lachen animiert. Opa Jurek bleibt indes nicht die einzige an skurrilen Anekdoten reiche Person in diesem von feinsinniger und engmaschiger Prosa durchwebten Familienroman. Auch der Vater des erzählenden Geschwisterpaares ist ein gar auffallender Kauz und möchte so gerne nach Yukon in Kanada abhauen, allein, seine halbgaren Versuche sind teilweise auf aberwitzige Weise zum Scheitern verurteilt. Die vielen Tode unseres Opas Jurek ist ein zutiefst liebenswerter, sensibler, empathischer und unterhaltsamer Roman, durchzogen von der Sehnsucht nach Freiheit, nach Liebe und nach einem erquicklichen Leben. Ein Highlight des diesjährigen literarischen Herbstes.

Matthias Nawrat: „Die vielen Tode unseres Opas Jurek, Rowohlt Verlag, Hardcover, 978-3-498-04631-6, 22,95 €.

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