Die Schauspielerin Marleen Lohse legt ein wunderbar entspanntes Pop-Album vor und widerlegt damit gängige Vorurteile
von Sven Weiss
„Jetzt muss sie auch noch singen“ – so oder ähnlich dürften manche auf die Nachricht reagieren, dass Marleen Lohse ein Album aufgenommen hat. Ist sie doch bei weitem nicht die erste prominente Schauspielerin, die sich im musikalischen Fach probiert. Und selten waren diese Ausflüge – mal mehr, mal weniger ernsthaft durchgeführt – wirklich nachhaltig. Denn, sind wir mal ehrlich: Wer würde schon, nach seinen Lieblingsmusikern befragt, Jan Josef Liefers, Uwe Ochsenknecht oder Miroslav Nemec antworten?
Das mag vielleicht etwas unfair klingen, schließlich sind viele dieser Projekte durchaus ambitioniert. Doch liegt es wohl in der Natur der Sache, dass „fachfremde“ Musikanten mit einem doppelt schweren Rucksack starten. Wie also wird Lohse – bekannt durch die Kinderserie „Die Kinder vom Alstertal“ oder die ARD-Krimireihe „Nord bei Nordwest“ – die Aufgabe meistern?
Marleen Lohse überrascht mit einer tollen Stimme
Schon mit der ersten Zeile nimmt die Schauspielerin-und-nun-auch-Sängerin den Hörer voll für sich ein. „5 a.m., a pitch-dark room / and you are wide awake“ singt sie, und tatsächlich ist man sofort hellwach. Denn Lohse überzeugt mit einer wunderschönen Stimme. Mit ihrem Gesangstil – irgendwo zwischen sympathisch-naiv und schüchtern – klingt sie wie eine Freundin, die zum Tee vorbeikommt und einfach ein paar Geschichten erzählt. Das Ganze ist eingebettet in eine äußerst geschmackvolle Produktion – zurückhaltend und doch mit den richtigen Tönen am richtigen Platz. Die Gitarre klingt nach Gitarre, der Bass sorgt für einen angenehm warmen Sound.
Marleen Lohse – wieder greifen die Vorurteile – hätte sich auch ein weiteres Machwerk aus dem „Menschen. Leben. Tanzen. Welt“-Kosmos auf den Leib schneidern lassen können. Stattdessen hat sie gemeinsam mit Kreativpartner und Produzent Andi Fins (Cäthe, Moritz Krämer) elf Stücke geschrieben, die ein Album ergeben, das ganz einfach richtig Spaß macht. Dabei war auch die Entscheidung fürs Englische goldrichtig – trotz des unüberhörbaren deutschen Akzents.
„Wide Awake“ bringt den Sommer zurück
Die Songs sind in ein lässiges Popgewand gekleidet und kommen leichtfüßig daher. Wahrscheinlich hätten sie eher in den Frühsommer gepasst, auch wenn Lohse singt „I’m not made for beaches“. Die Ballade selbigen Namens zeigt übrigens sehr deutlich, wo die Stärken dieser Albumproduktion liegen. Sicher hätte man hier den Lautstärkeregler auch etwas höherziehen können, aber das passiert bewusst nicht. Die atmosphärischen Chorgesänge, der kurze Mitsingpart – der Song umschmeichelt den Hörer und macht ihn zum Freund. Mehr braucht es nicht. Das gilt auch für die coole Cabrio-Sommer-Nummer „Friendship“, die nicht zufällig als aktuelle Single gewählt wurde. Oder natürlich „Losing Sight“, wohl die Nummer mit dem größten Hitpotenzial. Heimlicher Star ist jedoch „You Will Grow“, eine aufs Nötigste reduzierte Folkballade mit Country-Einschlag.
„Wide Awake“ ist kein Album, das die Popwelt auf den Kopf stellen wird. Aber es ist ein Album, das überraschend gutes Songwriting in einem überzeugenden Klanggewand präsentiert. Und damit den Sommer auch im Herbst noch einmal in die Herzen zaubert. Und spätestens nach einem vollen Durchgang jegliche Vorurteile pulverisiert. So dass man nun wohl eher bewundernd sagen wird: „Jetzt kann sie auch noch singen.“
„Wide Awake“ von Marleen Lohse erscheint am 24.10.2025 bei Wigram Stories Berlin. (Beitragsbild von Lily Cummings)
