Marianne Faithfull: No Exit

Der Triumphzug der Marianne Faithfull

von Sebastian Meißner

Es war 1968. Die Rolling Stones auf Tour mit dem „Rock’n’Roll Circus“. Im Gepäck unter anderem Taj Mahal, Jethro Tull, The Who und John Lennon. Und eine junge, 22-jährige Blondine mit unendlich traurigen Rehaugen, die ihren Song „Something Better“ in einem lila Kleid sang. Sitzend. Und mit dieser Stimme, die sie zur weiblichen Speerspitze der British Invasion in den USA machen und sie durch eine beispiellose Karriere tragen sollte. Mittlerweile ist Faithfull 70 Jahre alt. Aus dem kleinen Mädchen ist eine reife Frau geworden. 2014 ging sie noch einmal auf Tour, um ihr 50-jähriges Bühnenjubiläum zu feiern. Begleitet wurde sie dabei von einer All-Star-Band aus Rob McVey, Johnny Bridgewood, Ed Harcourt und Rob Ellis. Es wurde ein Triumphzug.

„No Exit“ ist das Zeugnis dieser Tournee. Das Paket besteht aus einer DVD, die den gesamten Auftritt in der Bella Bartok National Concert Hall in Budapest und vier Stücke aus dem Roundhouse in London zeigt sowie einer CD mit Mitschnitten aus diversen Konzerten in ganz Europa. Mit Bild wirken die Songs besonders stark. Nach einem kurzen Piano-Intro betritt Faithfull die in dunkles Blaulicht gehüllte Bühne. Laufen kann sie nur noch mit Hilfe eines Gehstockes, doch sie lächelt und füllt den Raum auf Anhieb aus mit ihrer Präsenz. Nur die ersten drei stücke wird sie am Mikro stehen, den Rest des Abends verbringt sie sitzend auf einem Sessel. So entsteht eine Intimität und Konzentration, eine Verletzlichkeit und eine Nähe zum Publikum, die dem Abend etwas Magisches verleiht. Die Setlist ist wie ein Streifzug durch die gesamte Karriere.

Von „As Tears Go By“ über „Sister Morphine“ und „Broken English“ bis zu Stücken des letzten Albums „Give My Love To London“ von 2014 ist alles dabei. Besonders stark ist „Falling back“, in dem Sängerin und Band sich tief in den Song hineinarbeiten. Auch das Nick Cave-Cover „Late Victorian Holocaust“ – von Faithfull mit Lesebrille vorgetragen – sticht positiv hervor. Absolutes Highlight aber ist die erschütternd rührende Ballade „Love More Or Less“ vom letzten Album. Nur zur Akustikgitarre singt Faithfull – und klingt noch immer wie das junge Mädchen aus dem Rock’n’Roll-Zirkus, nur weiser und älter. Nach dem letzten Song wird der 70-jährigen aus ihrem Sessel geholfen. Sie verbeugt sich tief, lächelt und sammelt mit ihren Rehaugen das Bild der klatschenden Zuschauer ein. Es ist das Ende eines großen Konzerts.

„No Exit“ von Marianne Faithfull ist am 30.09.2016 bei earMusic/Edel erschienen.

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