Dieser Roman wirkt wie ein Schnitt in die Brust
Mareike Fallwickl ist ein Phänomen. Die 1983 geborene Österreicherin ist freie Lektorin, Texterin, Kolumnistin und Schriftstellerin. Darüber hinaus nimmt sie die sozialen Medien in Dauerbeschlag und sondert Posts über Mann und Kinder via Facebook und Twitter gefühlt im Minutentakt ab. Vielleserin ist sie zusätzlich, auf ihrem Blog Bücherwurmloch rezensiert Mareike Fallwickl die mindestens neunzig bis einhundertzwanzig im Jahr gelesenen Bücher mit lässiger und spitzer Feder. Okay, die Bücher sollten nach eigener Angabe nicht länger als 300 Seiten sein, trotzdem ein beachtliches Pensum.
Ihrer Leserschaft mutet sie mit ihrem literarischen Debütroman Dunkelgrün fast schwarz allerdings knapp 500, jedoch jederzeit lohnenswerte, Seiten zu. Mareike Fallwickl hat einen faszinierenden wie abgründigen Roman über eine vergiftete Freundschaft mit Lügen, Abhängigkeiten und Verrat geschrieben. Raffael und Moritz (im Roman mit den Spitznamen Raf und Motz versehen) lernen sich im Alter von drei Jahren in Hallein, einer kleinen Stadt in der Nähe Salzburgs, kennen, wohin Moritz mit seiner Mutter Marie gezogen ist. Es ist der Heimatort von Maries Mann Alexander, der in Wien Medizin studiert und später eine Praxis in Hallein leiten wird. Sowohl Raf als auch Motz sind keine Wunsch-, sondern bei einem One-Night-Stand gezeugte Kinder, die Eltern arrangierten sich jeweils ihretwegen als Paar, beide noch mit weiterem Nachwuchs beglückt.
Von der ersten Begegnung an reißt Raf das Kommando in dieser Freundschaft an sich, sogar die mit im Alter von acht Jahren vollzogene Blutsbrüderschaft basiert für Raf, der sich zu einem arroganten Manipulator, einem Womanizer, Hochstapler, Blender, Sadisten und Täuscher entwickelt, auf Besitzanspruch. Motz, der ruhige und schüchterne Antagonist, der als Synästhetiker andere Menschen in Farbspektren sieht und bei Raf dunkelgrüne, fast schwarze Farben wahrnimmt, fügt sich, erträgt Rafs Gemeinheiten, nimmt Schuld für ihn auf sich und wird zu seinem Anhängsel, zu seinem Spielball. Als im Alter von siebzehn Jahren die kurz zuvor Vollwaise gewordene Johanna in diese Zweier-Phalanx hereinbricht, ändert sich das Leben dieser drei Protagonisten in kürzester Zeit auf radikale und fatale Weise. Erst sechzehn Jahre später folgt ein Wiedersehen und eine Aussprache, in der Motz mit für ihn bis dato unbekannten Wahrheiten konfrontiert wird.
Mareike Fallwickl erzählt die Story antichronologisch aus verschiedenen Perspektiven und benutzt für ihre Zeitsprünge atemberaubende, krimieske Cliffhanger. Die abgedroschene Floskel des nicht zu entziehenden Soges passt für Dunkelgrün fast schwarz indes gar vortrefflich. Fallwickel gelingt mit Dunkelgrün fast schwarz ein klug konzipierter Roman, der die Freundschaftsgrenzen mit selbstzerstörerischem Verhalten bis in exzessive Hörigkeitsszenarien, auch sexueller Art, auslotet.
Sie bedient zwar einmal das fürchterliche Klischee des Jogginghosen tragenden, auf der Couch rumlungernden, bestellte Pizza essenden, Dosenbier saufenden, sich Computersielen hingebenden und DMAX schauenden Mannes (ausgerechnet DMAX möchte man als Mann entsetzt und lautstark rufen), entschädigt aber auf weiter Flur mit starken Charakterzeichnungen und einfühlsamen Passagen des Innenlebens einzelner Figuren. Besonders die aus der Ich-Perspektive verfassten „Marie“-Kapitel muss man an dieser Stelle positiv erwähnen, die aufzeigen, wie sich Verhaltensmuster auf nächste Generationen übertragen können. Mareike Fallwickl stößt mit diesem Buch in Schmerzgrenzen vor, kalt lassen wird Dunkelgrün fast schwarz niemanden. Dieser Roman wirkt wie ein Schnitt in die Brust.
Mareike Fallwickl: „Dunkelgrün fast schwarz“, Frankfurter Verlagsanstalt, Hardcover, 480 Seiten, 978-3-627-0024-0, 24 € (Beitragsbild: Mareike Fallwickl, Fotocredit: Gyöngyi Tasi).