Magdalena Schrefel: Brauchbare Menschen

Die 1984 geborene Magdalena Schrefel widmet sich in ihrem Erzählband „Brauchbare Menschen“ gesellschaftlichen Randexistenzen

Oft sind es Menschen, die gerade nicht – im Sinne einer kapitalistischen Verwertungslogik – „brauchbar“ sind, sondern vielmehr ‚verbraucht‘, ‚gebraucht‘. Es sind häufig einsame Menschen, von denen Schrefel erzählt, Menschen in prekären Situationen und Lebenslagen oder Menschen, die in Armut und Verwahrlosung leben, in deren Bewusstsein sie hineingleitet, wie das Auge der Kamera Verborgenes dadurch sichtbar macht, dass es das vermeintlich Unscheinbare in den Nahbereich des Sehens rückt.

Berührende Lebensgeschichten von Magdalena Schrefel

Schrefels szenische Erzählweise, ihre Orientierung daran, wie die Figuren handeln und sprechen, bringt es mit sich, dass man sich als Leser oftmals ins kalte Wasser geworfen fühlt; was wir erfahren, ist an die Wahrnehmungsperspektive der Figuren gebunden oder erschließt sich uns über die Art, wie sie agieren. Ganz gleich, wer im Fokus des Erzählten steht: Stets handelt es sich um wahrhaft anrührende Lebensgeschichten und Erfahrungen. Berührender umso mehr, als die Autorin zu einem lakonischen Berichtston neigt, ohne je zu erklären, zu psychologisieren, für ihre Figuren zu sprechen. Damit gewinnen die Texte Raum für Leerstellen, für Fragen, die offen bleiben; die dargestellten Figuren entziehen sich jedem Versuch einer Aneignung, zeigen sich widerständig in aller Gebrochenheit. Und auch die in diesem Band versammelten Erzählungen verweigern sich einer Logik der ‚Brauchbarkeit‘, der ‚Verfügbarkeit‘ – gerade deshalb ist es eine ungeheuer wichtige literarische Arbeit, die Schrefel hier vorlegt.

Einblicke in sich wandelnde Arbeitswelten

Magdalena Schrefel Brauchbare Menschen Cover Suhrkamp Verlag

In mehreren Erzählungen taucht eine Journalistin auf, die es sich zum Ziel setzt, in kritischer Weise über die Arbeitswelt(en) unserer Tage zu berichten – eine Art zwischengeschaltetes Medium. So lässt sie diejenigen zu Wort kommen, die selbst unmittelbar betroffen sind von einer veränderten, globalisierten, automatisierten Arbeitswelt. Neben zahllosen scharfen Beobachtungen Arbeit und Leben unserer Tage betreffend, vermag die Autorin eine Meta-Perspektive einzunehmen, denn bei aller guter Absicht der Journalistin wird doch deutlich, was vielleicht das Problem jeder gesellschaftskritischen Dokumentation ist, nämlich dass auch der Berichtende in seinem kritischen Blick, in seinem Willen zur Veränderung letztlich, wie sollte es auch anders sein?, außerhalb der von ihm beschriebenen Verhältnisse steht. (Gleichzeitig natürlich ist auch die Journalistin selbst Produkt sich verändernder Arbeitsbedingungen, die mit ‚Entgrenzung‘ nur unzureichend beschrieben sind.)

Es geht Schrefel also in ihren Erzählungen nicht nur darum, die Frage: Was ist Arbeit? in all ihren Dimensionen aufzufächern, sondern auch um die viel tiefer liegende Frage: Wie können wir darüber berichten, wie literarisch darüber schreiben, was Arbeit und Arbeitslosigkeit heute für Menschen gerade in prekären Verhältnissen bedeuten?

Magdalena Schrefel zeigt Möglichkeiten gesellschaftskritischer Literatur

In dieser Perspektive sind Schrefels Erzählungen als Nachhall jener politisch-literarischen Auseinandersetzungen um die Frage nach der gesellschaftlichen Bedeutung von Literatur, ihren Möglichkeiten und Grenzen, zu lesen, wie sie in den späten 1960er Jahren ihren Höhepunkt gefunden haben. Es wird immer ein schmaler Grat dort beschritten, wo anhand der Lebenserfahrungen von Menschen in prekären Verhältnissen, von Menschen am Rande der Gesellschaft berichtet wird, um eben diese Verhältnisse sichtbar zu machen und damit auch als veränderbar zu zeigen. Denn letztlich sprechen diese Menschen nicht für sich, da ihnen die Ausdrucksmittel fehlen, sondern ein anderer spricht für sie, sei es der Berichterstattende oder der Autor, der sich ihrer zu seinen Zwecken bedient. Magdalena Schrefel geht in ihrem Ansatz sehr weit: Sie entwickelt ihre Figuren aus deren Innerem heraus, zeigt sie jedoch als selbstbestimmte Subjekte mit eigener Stimme, die (meistens jedenfalls) in einem Bewusstsein der gesellschaftlichen Verhältnisse und ihrer jeweiligen Rolle darin agieren.

Eine Geschichte vom Zusammenhalt

Wenn eben die Rede davon war, dass Schrefels Erzählungen alle auf ihre Weise nahegehen, so soll dies anhand der beiden Texte „Automatenglück“ und „Nachrichtendienst“ kurz veranschaulicht werden.

„Automatenglück“ erzählt von der Entstehung einer solidarischen Haltung von Sexarbeiterinnen gegenüber ihrer neuen Kollegin Gigi, die zwar „dieselbe Arbeit macht“ wie die anderen Frauen, und dennoch anders, nämlich eine Puppe ist. Eine der Frauen klärt Gigi, die über eine Aufzeichnungs- und Wiedergabefunktion verfügt, darüber auf, was das ist: Arbeit. „Wenn du die Bedürfnisse anderer Leute zu deinen eigenen machst […] und dich dafür bezahlen lässt, dann ist das Arbeit, Ar-beit.“ Auch wenn Gigi kein Bewusstsein ihrer selbst als Arbeiterin, als Sexarbeiterin, entwickeln kann, so führt sie den Frauen doch vor Augen, dass sie etwas verkörpert, wogegen sie sich alle auf ihre Weise zu behaupten suchen, nämlich in ihrer Arbeit als Objekt, nicht als Subjekt betrachtet zu werden.

Eines Tages wird Gigi das Opfer eines brutalen Freiers, woraufhin sich die Frauen zusammenschließen. „Eine Maschine, sage ich also, eine Maschine aber, die dasselbe macht wie wir. Dass wir privat zwar alle verschieden sind, aber dass wir hier zusammenhalten, ganz einfach, weil wir unsere Arbeit machen. […] Und dass die Gewalt, die man Gigis Körper angetan hat, dass sie unseren Körpern gilt, jeder Einzelnen von uns.“

Texte wie Türen in verborgene Welten

„Nachrichtendienst“ erzählt von einer alten Frau, die (vermutlich nach dem Tod ihres Mannes) allein lebt, sich zunehmend in ihren eigenen Gedanken und Vorstellungen verliert und offenbar an Gedächtnisverlust und Orientierungslosigkeit leidet. Scheint sie sich zu Beginn dieser Entwicklung noch selbst Botschaften für eine Zeit übermitteln zu wollen, in der sie sich nicht mehr zurechtfindet, so sind ihr nun auch diese zeichenhaften Überreste mehr und mehr ein Rätsel. Immer wieder greift sie zum Telefonhörer, spricht in die Stille hinein, erstattet einem imaginären Gegenüber Bericht und versucht sich festzuhalten an den Lebensäußerungen einer Nachbarin, eine Art schattenhaftes Abbild ihrer selbst; akribisch notiert sie ihre „Erkenntnisse“, Bleistift auf Papier, füllt Zettel um Zettel. „Nachrichtendienst“ ist vielleicht die traurigste, hoffnungsloseste Geschichte der Sammlung, vielleicht auch die, die am stärksten fordert und zugleich eine Tür öffnet in eine Welt, die ohne diesen Text verschlossen bleiben würde.

Magdalena Schrefel: „Brauchbare Menschen“, Erzählungen, Suhrkamp 2022, ISBN 978-3-518-12800-8, 16 Euro. (Beitragsbild-Credit: Stefanie Kulisch)

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