Lucy Fricke: Töchter – Roman

Ein tragikomischer, bittersüßer neuer Roman von Lucy Fricke

Und am Ende dürfen Sie noch hemmungslos schluchzen und Tränen vergießen. Tun Sie das auch, es hilft. Sie werden gleichzeitig aber auch jauchzen und  jubilieren und vor Freude frohlocken, dieses Buch gelesen zu haben. Es ist schier unmöglich, Lucy Frickes neuen Roman Töchter nicht positiv in Erinnerung zu behalten. Neben einem exzellenten Storytelling besticht der Roman durch sympathisch-neurotische Figuren und lebensphilosophische Weisheiten, die sich wie ein roter Faden durch das Buch ziehen, ohne jemals aufdringlich zu wirken.

Auf nach Italien

Lucy Fricke Töchter Cover RowohltIch-Erzählerin Betty, eine depressive, selbstironische Schriftstellerin außer Dienst mit der Tendenz zur Flucht, und Martha, die nach drei Fehlgeburten unter ihrer Kinderlosigkeit leidet, sich an Grundkursen orientiert und stets Dinge tut, um anderes zu vergessen, sind beide um die 40 und seit zwanzig Jahren beste Freundinnen. Marthas Vater Kurt ist krebskrank und der Sterbehilfetermin in der Schweiz steht bereits fest. Kurt ist viel zu gebrechlich, um selbst zu fahren, und da Martha nach einem schweren Autounfall seit einigen Jahren nicht mehr hinterm Steuer sitzt, übernimmt Betty den Part der Chauffeurin. Allerdings ist Kurt ebenso ein Schlawiner, der seine Tochter anflunkert, denn eigentlich möchte er auf seine letzten Tage noch seine erste Liebe Francesca am Lago Maggiore besuchen, wohin die Reise auch führt.

Ausgezeichnet mit dem Bayerischen Buchpreis 2018

Betty indes schleppt ebenfalls ein Vater-Problem mit sich und möchte sich in einem italienischen Dorf von ihrem seit zehn Jahren toten Stiefvater Ernesto, für den sie als Kind so geschwärmt hat und der ganz plötzlich aus ihrem Leben verschwand, verabschieden. Mit einer superben Wendung leitet Lucy Fricke ihre Protagonistin weiter auf eine kleine griechische Insel, wo sie mehr über das Leben Ernestos erfährt und sie Martha und Kurt wiedersieht. Keine Frage, Töchter, von Lucy Fricke, vor wenigen Wochen mit dem Bayerischen Buchpreis ausgezeichnet, ist eine Herzensangelegenheit. Die 1974 in Hamburg geborene und in Berlin lebende  Autorin, die seit 2010 die Ham.Lit mitveranstaltet, schreibt in Stein gemeißelte Sätze voller ungeschminkter Wahrheiten.

Ein großes Glück, Töchter von Lucy Fricke lesen zu dürfen

Ihre beiden wichtigsten Figuren Betty und Martha sind „hauptstadtnormal“, sehnen sich nach einem Ankommen im Leben und suchen nach Liebe und Glück. Das klingt vielleicht kitschig, ist es aber nicht, denn Lucy Fricke kommt ohne Sentiment aus. Vielmehr ist Töchter ein tragikomisches, bittersüßes Buch über den Abschied, das Älterwerden, den Tod, die Freundschaft, die Einsamkeit, den Zeitgeist, die Veränderung, das Eltern-Kind-Verhältnis, sowie über „normale“ und „seltsame“ Menschen. Vielleicht gibt es kein universelles Lebensglück, vielleicht lauert das Glück jedoch an der nächsten Ecke. Wir haben jedenfalls das Glück, diesen wunderbaren Roman von Lucy Fricke lesen zu dürfen. Töchter ist ein blitzgescheiter, lebenskluger Roman, nicht nur für die Frau um die 40. Sie werden dieses Buch lieben.

Lucy Fricke: „Töchter“, Rowohlt, Hardcover, 240 Seiten, 978-3-498-02007-1, 20 € (Beitragsbild von Dagmar Morath).

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