Lesley-Ann Jones: Freddie Mercury – Die Biografie

Eine fundierte und angenehm zurückhaltende Biografie über den legendären Queen-Frontmann Freddie Mercury

von Jutta Nickel

Am 5. September 2016 hätte Freddie Mercury den 70. Geburtstag gefeiert, am 24. November 2016 jährt sich sein Todestag zum 25. Mal. Anlass genug für den Piper Verlag, die Freddie-Mercury-Biografie der Rock-Journalistin Lesley-Ann Jones, die im englischen Original bereits 2011 zum 40. Jubiläum der Band Queen erschienen ist, jetzt in einer deutschen Übersetzung zu veröffentlichen. In den frühen 1980ern hatte Lesley-Ann Jones als Pop-Reporterin für diverse Boulevardblätter gearbeitet und gerade als „Frischling“ bei Associated Newspapers angefangen, als sie 1984 zu einem Interview mit Freddie Mercury und Brian May ins Queen-Büro nach Notting Hill geschickt wurde. Das war der Auftakt zu einer engen Freundschaft mit der Band und Freddie Mercury, der ihr nicht nur jahrelange Tourbegleitung ermöglicht hat, sondern auch VIP-Tickets zu Live Aid, Einladungen zu Exklusivkonzerten und ungehinderten Zugang zum innersten Queen-Zirkel bis hin zu Privatpartys verschaffte. Darauf greift Lesley-Ann Jones zurück, wenn sie in dieser Biografie aus mehr als hundert Interviews das vielstimmige Porträt einer Künstlerpersönlichkeit entstehen lässt, deren Leben sicher kein einfaches war.

Im Alter von acht Jahren schicken seine Eltern ihn ins Internat nach Indien, wo Freddie Mercury als Teenager seine erste Band gründet, The Hectics: „Sein mitreißender Boogie-Woogie-Pianostil machte ihn in Panchgani bald zum Stadtgespräch.“ An der „hohen Kunst der After-Show-Party“, die später von Queen kultiviert wurde, dürfte es zwar nicht gelegen haben, doch die Leistungen des Schülers Bulsara verschlechtern sich so dramatisch, dass er zu seiner Familie nach Sansibar zurückkehrt und erst dort seinen Schulabschluss macht. Im Januar 1964, Freddie ist 17 Jahre alt, zwingen politische Unruhen die Familie Bulsara zur Flucht nach London, wo sie sich im Stadtteil Feltham niederlässt. In den Jahren 1966 bis 1969 studiert Freddie Design am Ealing College of Art, taucht ein in die pulsierende Mode- und Musikszene Londons und probiert sich als Leadsänger in verschiedenen Bands aus. Im April 1970 gründet er mit Brian May und Roger Taylor zusammen die Band Queen. Als 1971 Bassist John Deacon dazukommt, ist die Besetzung gefunden, in der Queen bis zu Mercurys Tod im November 1991 zusammenbleiben sollte.

Und damit ist der Grundstein für den langsamen, aber stetigen Aufstieg der Band zu Weltruhm gelegt, der zugleich Freddie Mercurys Abstieg in nicht ungefährliche Abgründe exzessiver Lust zu bedeuten scheint. Zeitlebens reich an inneren Konflikten und Widersprüchen, gilt besonders der jüngere Mercury als weich und jungenhaft, als still, schüchtern, „gutmütig, großzügig und mitfühlend“, auf der anderen Seite aber auch als egoistisch, affektiert, jähzornig und vor allem unglaublich eitel: „Seine endlosen Verkündungen, er werde zur ‚Legende‘ werden, konnten seinen Zuhörern den letzten Nerv rauben.“ Diese Prophezeiung ist zweifellos in Erfüllung gegangen, denn seine Kompositionen und Arrangements sind bis heute genauso unvergessen wie seine unglaubliche Stimmgewalt und die schier überwältigende Bühnenpräsenz. Auch sein Privatleben ist legendär: Kaum zu glauben, dass derselbe Freddie Mercury, der später in Münchens homosexuellem „Bermuda-Dreieck“ zu ertrinken drohte, anfangs der „totale Nerd“ gewesen sein soll, gewiss kein „Teamplayer“, sondern ein „Nerd mit vorstehenden Zähnen, der in seine eigene Fantasiewelt hineinwuchs: der Klassiker vom hässlichen Entlein, das sich zum Schwan entwickelt.“

Dass Mercury „permanent unter erheblichen Seelenqualen gelitten“ haben soll, wie Psychotherapeut Cosmo Hallström erzählt, lag wohl auch an seinen Gefühlen für Mary Austin, mit der er von Anfang 1970 bis Ende 1976 in einer gemeinsamen Wohnung in West Kensington gelebt hat, während er mit heimlichen homosexuellen Eskapaden ständig die Grenzen dieser quasi-ehelichen Häuslichkeit verletzt. Doch trotz ihrer offiziellen Trennung an Weihnachten 1976 bleiben sie unzertrennlich, und diese „idealisierte Mutterfigur“ Mary Austin scheint neben den Bandmitgliedern von Queen, langjährigen Freunden wie Elton John, das „liebe alte Zuckerstückchen“, Barbara Valentin, seinem letzten Lebensgefährten Jim Hutton und einigen anderen dauerhaften Wegbegleitern der Fels in der Brandung gewesen zu sein, der ihm zuverlässig Halt gab und dafür sorgte, dass er bis wenige Monate vor seinem Tod am 24. November 1991 zusammen mit Queen an seiner Musik arbeiten konnte.

Lesley-Ann Jones’ Blick auf Freddie Mercurys Leben auf der Bühne und hinter den Kulissen ist fundiert recherchiert und angenehm zurückhaltend statt sensationslüstern geschrieben. Gelegentliche Wiederholungen sind angesichts der Materialfülle sicher nicht zu vermeiden; störend sind allerdings die teils peinlich detaillierten Schilderungen seines Sexlebens sowie die überflüssigen Spekulationen einiger Wegbegleiter, wann, wo und bei wem er sich wohl mit dem HI-Virus infiziert haben mag. Eine umfangreiche Fotostrecke, eine Zeittafel, Diskografie, Auswahl-Bibliografie, ein Songverzeichnis und ein Personenregister runden diese insgesamt sehr lesenswerte Biografie ab.

Lesley-Ann Jones: Freddie Mercury – Die Biografie, aus dem Englischen von Stefan Rohmig, Piper, 448 Seiten, 978-3-492-05760-8, 24 Euro.

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