Leonardo Padura: Anständige Leute

Leonardo Padura Ivan Giménez

Auch im zehnten Roman mit Mario Conde erweist sich der kubanische Schriftsteller Leonardo Padura als einer der bedeutendsten Erzähler der Gegenwart

von Gérard Otremba

Viel los in Havanna des Jahres 2016. Der Besuch des US-Präsidenten Barack Obama steht an und auch das erste Konzert der Rolling Stones auf Kuba muss organisiert werden. Gleichzeitig entwickelt sich Kubas Hauptstadt zu einem  Mittelpunkt amerikanischer Touristen.  Zeit, um Morde aufzuklären bleibt für die Polizei kaum. So muss mal wieder Mario Conde seine Spürnase unter Beweis stellen. Der langjährige „Zensor und Unterdrücker“ Reynaldo Quevedo ist bestialisch ermordet worden. Mario Conde hilft auf Bitten seiner ehemaligen Kollegen bei der Aufklärung. Über dreißig Jahre ist es nun her, dass der mittlerweile 62-jährige Conde seinen Dienst quittiert hat, seitdem schlägt sich der finanziell notorisch klamme Ex-Polizist als erfolgloser Buchantiquar mit Gelegenheitsjobs durchs Leben.

Leonardo Padura und die Historie Kubas

Leonardo Padura Anständige Leute Cover Unionsverlag

Schon bald taucht mit Quevedos Schwiegersohn die nächste übel zugerichtete Leiche auf. Die Wege zur Aufklärung der Fälle führen den charismatischen, immer noch sich gerne der Melancholie hingebenden Conde, der sich während der Ermittlungsphase ausgerechnet mit einem ehemaligen Erzfeind aus seinen Polizeitagen arrangieren muss, in die Vergangenheit. Wie nicht unüblich in seinen Romanen, man denke nur an das Meisterwerk „Ketzer“, begibt sich Leonardo Padura auch in „Anständige Leute“ in frühere Zeiten und taucht in die Historie Kubas ein. Sogar in zweifacher Hinsicht. Das Umfeld Quevedos aus den 70er-Jahren gerät zu einem entscheidenden Faktor bei der Lösung der Mordfälle; parallel dazu erzählt der 1955 in Havanna geborene Schriftsteller die Geschichte des berühmten kubanischen Zuhälters und Lebemannes Alberto Yarini und springt hierzu in die Jahre 1909/10.

Aus der Sicht eines jungen Polizeibeamten schildert Leonardo Padura die Geschehnisse zwischen Prostituiertenmorden und Rotlichtkämpfen, während der befürchtete Einschlag des Halleyschen Kometen die Bewohner Havannas außer Rand und Band geraten lässt. Zunächst mutet dieser Strang wie ein Eigeninteresse Mario Condes an, doch wäre Padura nicht Padura, stünde dieser Rückblick nicht doch im Zusammenhang mit den aktuellen Verbrechen. Sogar einem Besitzstand Napoleon Bonapartes kommt eine tragende Rolle in diesem Buch zu.

Humanistische Werte, wehmütige Romantik

Obwohl Paduras Alter Ego Mario Conde wesentlich direkter als in anderen Romanen an der Falllösung involviert ist, lässt der preisgekrönte Autor erneut genügend Raum für gesellschaftliche Beobachtungen. Ähnlich wie vor über hundert Jahren gerät Kubas Hauptstadt in den Augen Condes leicht aus den Fugen, die Hoffnung auf eine langfristige Veränderung und Verbesserung der Lage des sozialistischen Inselstaates mag in der Hauptfigur indes nicht aufkommen. Krimihandlung und sozialpolitische Analyse fließen ineinander und Leonardo Padura zeigt sich einmal mehr auf dem Höhepunkt seines Schaffens. Ein von humanistischen Werten und wehmütiger Romantik durchzogenes, literarisches Schaffen, nicht frei von Ironie und immer hart an der Realität. Padura erweist sich wieder einmal als einer der bedeutendsten Erzähler der Gegenwart.

Leonardo Padura: „Anständige Leute“, Unionsverlag, aus dem Spanischen von Peter Kultzen, Hardcover, 400 Seiten, 978-3-293-00621-8, 26 Euro. (Beitragsbild von Ivan Giménez)

Kommentar schreiben