Leo Löwenthal: Falsche Propheten

Leo Löwnthal Falsche Propheten Cover Suhrkamp Verlag

Erschreckend aktuell: Die Wiederauflage der Studien von Leo Löwenthal zur faschistischen Agitation von 1949 können auch den Rechtsruck von heute erklären

von Sebastian Meißner

Sie haben wieder Zulauf. Im Kontext einer emotionalen Verunsicherung und ausgeprägter Zukunftsängste erfährt faschistische Agitation eine Renaissance. Populistische Bewegungen weltweit nutzen diese Mechanismen, um politische Unterstützung zu gewinnen und demokratische Werte zu untergraben. Politik wird emotionalisiert, indem Feindbilder geschürt und das Vertrauen in den demokratischen Prozess untergraben wird.

Antidemokratische Bewegungen

Leo Löwenthal, der große Soziologe der Frankfurter Schule, hat bereits 1949 in seiner wegweisenden Studie „Falsche Propheten – Studien zur faschistischen Agitation die Mechanismen untersucht, mit denen politische Agitatoren die Unzufriedenheit der Menschen ausnutzen, um antidemokratische Bewegungen zu fördern. In dieser Abhandlung zeigt er, wie die politische Agitation auf die emotionale Ebene abzielt und dabei tief verwurzelte Ängste und Ressentiments anspricht. Löwenthal beschreibt die „Malaise“ – ein Gefühl des allgemeinen Unwohlseins – als einen Zustand, der auf tiefgehende gesellschaftliche Umwälzungen und strukturelle Veränderungen in der Wirtschaft und Sozialstruktur zurückzuführen ist.

Die Individuen erleben diese Krise zunächst als persönliche, oft als isolierte, seelische Störung. Doch die eigentliche Quelle dieser Malaise liegt in den Veränderungen der Gesellschaft, die den Einzelnen überfordern. Der Agitator, so Löwenthal, erkennt diese soziale Notlage und nutzt sie aus, indem er die Menschen emotional aufwühlt und sie in die Irre führt. Er verfolgt dabei keine politischen Lösungen oder Reformen, sondern setzt ausschließlich auf das Aufrühren der Gefühle.

Leo Löwenthal analysiert das Vorgehen

Leo Löwnthal Falsche Propheten Cover Suhrkamp Verlag

Leo Löwenthal unterscheidet dabei drei Typen politischer Akteure: den Agitator, den Reformer und den Revolutionär. Der Reformer und der Revolutionär reagieren auf reale Missstände und streben nach Veränderungen innerhalb des politischen Systems. Der Agitator jedoch geht es nicht um die Behebung von Ungerechtigkeiten, sondern um das Erreichen seiner eigenen Ziele durch maximale Emotionalisierung. Er nutzt die Frustration und die Wut der Menschen, um ihnen das Gefühl zu vermitteln, dass sie eine unterdrückte, aber wahre Wahrheit erkannt haben. Diese „Wahrheit“ richtet sich oft gegen bestimmte Gruppen: Migranten, Juden oder das „fremde Andere“. Diese Form der Agitation ist nicht rational, sondern basiert auf der Ausschließung und Stigmatisierung von Feindbildern.

Die Rhetorik der heutigen Agitatoren zeigt deutliche Parallelen zu denjenigen, die Löwenthal in den USA während des Zweiten Weltkriegs analysierte. Auch heute finden wir eine ähnliche Erzählung des „Betrogenwerdens“, die das Gefühl verbreitet, dass der „ehrliche, arbeitende Bürger“ von einer Elite um seine Rechte betrogen wird. Diese Narrative sind die Grundlage für populistische Bewegungen und haben in der politischen Rhetorik von Figuren wie Donald Trump eine besonders prägnante Form angenommen. Trump verkörperte diese Erzählung auf nahezu perfekte Weise, als er mit „Stop the Steal“ die Anhänger emotional mobilisierte und ihnen das Gefühl gab, sie seien die Opfer einer Verschwörung.

Migranten und angebliche Eliten

Ein weiteres zentrales Element in Löwenthals Analyse ist die Rolle des „Erweckten“ oder „Erleuchteten“, den der Agitator in seiner eigenen Person sieht. Er gibt sich als jemand aus, der die Wahrheit kennt und den Massen den Weg zeigt. In dieser Rolle übernimmt er die Funktion eines messianischen Führers, dem es zu folgen gilt. Gleichzeitig wird das Feindbild immer wieder an die jeweilige Krise angepasst: Während in den 1940er-Jahren der Jude als Sündenbock galt, sind es heute oft Migranten oder angebliche „Eliten“, die für die Missstände verantwortlich gemacht werden.

Das Konzept des „Othering“ – die psychologische Auslagerung von Ängsten und negativen Gefühlen auf eine andere Gruppe – spielt eine zentrale Rolle in der Agitation. Der Agitator bietet den Menschen die Möglichkeit, ihre eigenen inneren Konflikte und Frustrationen auf ein „anderes“ zu projizieren. Indem er Migranten oder andere als „Schmutz“ darstellt, übernimmt er die Rolle des moralischen Hüters, der die Reinheit des eigenen Landes verteidigt. Diese Metaphern von Schmutz und Dreck, die oft verwendet werden, sind tief in der psychischen Entwicklung des Menschen verankert. Der Agitator verstärkt diese kindlichen Traumata und bietet die Möglichkeit, die „verbotene Lust“ an diesen negativen Gefühlen auf andere Gruppen zu richten.

Leo Löwenthal bietet Lösungen

Auch wenn Löwenthals Analyse keine einfachen Lösungen bietet, hilft sie doch, die Mechanismen der politischen Agitation besser zu verstehen. Besonders wichtig ist seine Schlussfolgerung, dass die Emotionalisierung von Politik eine gefährliche Entwicklung darstellt – nicht nur, wenn sie von rechten Kräften betrieben wird, sondern auch, wenn sie aus anderen politischen Lagern kommt. Die emotionale Aufladung von politischen Fragen zeigt, wie leicht demokratische Politiker in die Fallstricke der Agitatoren geraten können.

Löwenthals Werk mahnt uns auch heute noch, dass gegen die Ausbreitung solcher Rhetorik langfristig nur durch Bildungsarbeit, soziale Integration und die Förderung demokratischer Werte etwas getan werden kann. Wenn Menschen aufgrund politischer Entfremdung und sozialer Isolation für die Agitation empfänglich werden, muss das Ziel sein, ihnen eine Perspektive zu bieten, die nicht auf Angst und Feindbildern basiert. Demokratische Arbeit darf nicht nur auf die Bekämpfung der Symptome abzielen, sondern muss die strukturellen Ursachen der Unzufriedenheit und Frustration in der Gesellschaft angehen.

Leo Löwenthal: „Falsche Propheten – Studien zur faschistischen Agitation“, Suhrkamp Verlag, Klappenbroschur, 253 Seiten, 978-3-518-58762-1, 22 Euro. (Beitragsbild: Buchcover)

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