Kreator: Hate Über Alles – Albumreview

Kreator Hate Über Alles Cover Nuclear Blast Records

15. Studioalbum der deutschen Thrash-Metal-Ikone Kreator

Oft wird, in Anlehnung an die „Big 4“ des Thrash-Metals aus Übersee, von den „Teutonic Big 4“ gesprochen – ein von jeher leicht inszeniertes Konstrukt, zumal, wenn man die Entwicklungen besagter Bands in den letzten, knapp 40 Jahren begutachtet. Dann lassen Kreator nämlich nicht nur ihre Ruhrpott-Kollegen auf vielen Ebenen hinter sich, sondern sogar die drei hinterbliebenen der US-Version. Blasphemie? Wer das denkt muss nur mal deren Output der letzten 20 Jahre vergleichen. „Hate Über Alles“, das nunmehr 15. Studioalbum des Quartetts aus ursprünglich Essen-Altenessen (Bandboss „Mille“ Petrozza sowie Drummer „Ventor“ Reil fanden sich dort bereits vor Bandgründung 1984), weist so einiges auf, was Kreator anno 2022 zu einer relevanten Band macht – nicht nur zu einer relevanten Thrash-Metal-Band. Hauptsache natürlich: die Musik.

Kreator zwischen Crowd-Pleasern und Neu-Inspirationen

Kreator Hate Über Alles Cover Nuclear Blast Records

Die elf neuen Stücke ballern größtenteils, dass es eine Art hat und bewegen sich geschickt auf dem schmalen Grad zwischen Crowd-Pleasern und Neu-Inspirationen, die konservative Fans erst mal in Ruhe verarbeiten müssen. Der schon immer extrem kulturhungrige Petrozza scheut sich dabei nicht, sein Schaffen mit Fremdeinflüssen außerhalb des Genres zu veredeln. Neben dem bereits in der Vergangenheit neben Kreator agierendem Max Gruber aka Drangsal ( = die Nonne bei Circus Halligalli) sowie den italienischen Symphonic-Death-Metallern Fleshgod Apocalypse setzt Indie-Sängerin Sofia Portanet auf „Midnight Sun“ Akzente – ein Song, den der größte Teil der Metal-Presse eher als Fremdkörper im Album definiert und inhaltlich vom schwedisch/amerikanischen Horror-Film „Midsommar“ inspiriert ist. Geduld, Metal-Presse: der kommt noch. Doch der Reihe nach:

Filmfreak Mille Petrozza

Das Intro „Sergio Corbucci Is Dead“ bezeugt den Filmfreak Mille – Spaghetti-Western-Intro haben viele, jede Metallica-Show fängt mit Ennio Morricone an. Gehuldigt wird hier jedoch dem zu Unrecht nach Sergio Leone in die zweite Reihe geschobenen Sergio Corbucci. Es folgt der bereits seit einigen Wochen verfügbare Titeltrack, der vor allem in Online-Foren vorherrschenden Umgang miteinander anpangert und dabei die Dead Kennedys zitiert. Nicht nur wegen diesem Brecher haben es Kreator aufs Cover vom Ox sowie an die Spitze des Punkfestivals Ruhrpott Rodeo geschafft – Thrash Metal ist dem Punk häufig verwandt; in Gestalt von Kreator jedoch in besonderem Maße.

„Killer Of Jesus“ hält das Tempo – inhaltlich wird Verzicht gefordert: Verzicht auf das Erstreben eines Heilandes oder Supermenschen, der uns aus der Misere führt. Packt selber an. Gitarrenarbeit vom Feinsten ist dabei am Start, aber das ist keine Überraschung: Gitarrist Sami Yli-Sirniö ist nun auch bereits seit 2001 bei Kreator aktiv und verfeinert deren Sound aufs Edelste. „Crush The Tyrants“ nimmt danach etwas das Tempo raus, der Titel ist selbsterklärend.

Kreator bieten Gitarrensoli zum Niederknien

Der Ruf nach Empowerment zieht sich weiter durch das Werk: „Strongest Of The Strong“ bleibt beim Thema und evoziert durch die harmonischen Twin-Gitarren Gedanken an Iron Maiden, die ebenso an anderen Stellen des Albums auftreten. „Become Immortal“- ein autobiographischer, jedoch in keinster Weise sentimentaler Song mit ausreichend Gelegenheit zum ausgiebigen Mitgegröhle folgt und baut eine Brücke zum Highlight „Conquer And Destroy“ – Max Gruber ist hier dabei, Iron Maiden hört/spürt man abermals heraus, allerdings in Perfektion. Oh Mann, diese Gitarren. Alleine schon wegen diesem Stück lohnt sich der Erwerb der Platte. „Midnight Son“ hatten wir schon, am Ende des Tages könnte auch der leicht „angegothte“ und dem Symphonic-Metal verwandte Track den größten Eindruck hinterlassen. Ebenso wieder dabei: Gitarrensoli zum Niederknien.

Ganz großes Kreator-Kino

„Demonic Future“ im Anschluss klingt wie früher US-Thrash vom Derbsten und Feinsten mit klassischem Deutsch-Thrash-Refrain, inhaltlich geprägt durch die rassistischen Ereignisse in Freital 2015. Kein Fußbreit den Faschisten. „Pride Comes Before The Fall“ startet experimentell-elektronisch, fährt anschließend das ganze Drama klassischen Heavy Metals auf, integriert Speed Metal-Gitarrenduelle um mit einem fulminanten Knall zu enden. Ganz! Großes! Kino! Und wir haben bis dahin noch nicht das letzte/beste Stück des Albums gehört, „Dying Planet“ (Inhalt durch den Titel ebenfalls selbsterklärend). Bissi Black- oder Post-Metal noch gefällig, Post-Punk gar? Bitte sehr. Düster, bedrohlich und faszinierend:  Der mit fast sieben Minuten Spielzeit epischste Track beweist eindringlich, dass 40 Jahre alte Formationen innerhalb des gleichen Mikrokosmos Relevanz beweisen können, weit über diesen hinaus. Textlich wie musikalisch.

Großartig, nicht nur im Sub-Genre Thrash

Die Produktion des durch u.a. Ghostemane bekannt gewordenen US-Amerikaners Arthur Rizk tut das ihrige, um „Hate über alles“ zu einem der großartigsten Metal-Outputs des Jahres zu machen. Ja, nicht Thrash-Metal, sondern Metal allgemein. Dass mit Frédéric Leclerq (vorher u.a. bei Dragon Force) ein neuer Bassist am Start ist, der laut Mille ebenso wie Sami „ein Supergitarrist“ ist (Metal Hammer) sei der Vollständigkeit halber noch erwähnt. Der Winter mit Kreator live kann kommen.

„Hate Über Alles“ von Kreator erscheint am 10.06.2022 bei Nuclear Blast. (Beitragsbild: Albumcover)

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