Klaus Johannes Thies: Tango ohne Argentinien

Klaus Johannes Thies credit Silke Hennig

Mit dieser Sammlung von Kurztexten erschafft Klaus Johannes Thies ein literarisches Miniatur-Wunderland

Zuletzt erschien von Klaus Johannes Thies 2018 der von Sounds & Books rezensierte Band „Aus meinem Fenster – Parkplatz-Rhapsodien“, in dem der Bremer Schriftsteller den Blick aus dem Fenster auf einen Parkplatz richtete und in Prosaminiaturen über Details und Veränderungen der einsehbaren Umgebung berichtete. Fielen diese zwischen 2005 und 2018 entstanden Texte bereits relativ kurz aus, treibt der 1950 in Bielefeld geborene Autor seine literarische Verknappung in „Tango ohne Argentinien – 111 Shorts“ auf die Spitze. 2020 zu seinem 70. Geburtstag erschienen, versammelt das 130 Seiten lange Buch eine neu in Szene und neu in Verbindung gesetzte Auswahl seiner über die vielen Jahre entstanden und veröffentlichten Kurztexte.

Literarische Anleitung zur Entschleunigung

Klaus Johannes Thies Tango ohne Argentinien Cover Edition Azur bei Voland & Quist

Nur selten überschreiten diese die Länge von einer Seite, die meisten begnügen sich mit einer halben und manche passen sogar auf den berühmt-berüchtigten Bierdeckel und kommen mit einem Satz aus: „Ich wollte auch mal etwas Neues ausprobieren, habe mir zwei Tassen Tee gemacht, für jede Hand eine, und dabei natürlich wieder aus dem Fenster gesehen, in den schönen Novembertag hinein, die kleinen Mensch-ärgere-dich-nicht-Figuren betrachtet, die dort unten eilig herumjagen und ihre Besorgungen machen, anstatt das alles, so wie ich, auf morgen zu verschieben.“ Kann es einen schöneren Aufruf zur Prokrastination geben? Zum Müßiggang und zur Entschleunigung?

Die von Klaus Johannes Thies in vollendete Kurzform gegossenen Beobachtungen, Gedanken und Erinnerungen decken thematisch das ganze Spektrum des menschlichen Daseins ab: Das Leben, der Tod, die Liebe, die Eltern, das Älterwerden, die Kunst, der Fußball, der Film, das Schreiben, die Traurigkeit, das Aus-dem-Fenster-Schauen. Herrlich, wie Thies in der mit „Verdammt lange her“ betitelten Jugenderinnerung über den schockierenden Moment schreibt, „als sich meine Mitschülerinnen zu schminken begannen, wie sie sich plötzlich in kleine Weibchen verwandelten“, das Interesse der kaum aufnahmebereiten Jungs aber recht bald von der Literatur Peter Handkes in Beschlag genommen worden ist.

Der charmante Schreibstil von Klaus Johannes Thies

Sein lakonischer Schreibstil besitzt Charme und lebt häufig von einem eigenen, sublimen Humor. Manchmal verbreitet Klaus Johannes Thies eine sehnsüchtige Nostalgie mit seinen „Shorts“, und manchmal lesen sie sich wie melancholische Element-Of-Crime-Songtexte von Sven Regener („Den ganzen Tag über da sein dürfen, wie ein Volkswagen, der hier abgestellt wurde. Jemand hat die Tür abgeschlossen und ist einfach weggegangen. Da steht er jetzt und wartet. Die Sonne scheint das draußen unermüdlich auf ihn drauf, und das seit siebenundzwanzig Jahren schon.“). Doch egal, wie kurz seine Verknappungen auch ausfallen, mit „Tango ohne Argentinien“ gelingt Klaus Johannes Thies ein literarisches Miniatur-Wunderland.

Klaus Johannes Thies: „Tango ohne Argentinien – 111 Shorts“, Edition Azur bei Voland & Quist, Klappenbroschur, 132 Seiten, mit einem Nachwort von Mirko Bonné,  978-3-942375-47-4, 20 Euro. (Beitragsbild von Silke Hennig)

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