Kevin Morby: Oh My God – Albumreview

Kevin Morby Rolling Stone Weekender 2017 by Gérard Otremba

Nach „Singing Saw“ das zweite Großwerk von Kevin Morby

Kevin Morbys musikalisches Output ist bemerkenswert. Mit „Oh My God“ veröffentlicht der Amerikaner bereits sein fünftes Album seit 2013. War eine solche Veröffentlichungsdichte in den Sechzigern und Siebzigern noch an der Tagesordnung, gehört sie heutzutage zu den raren Ausnahmen. Ryan Adams brachte in seiner Hochphase ähnlich viele Platten heraus, manchmal auch drei in einem Jahr. Dass Kevin Morby längst ein ernstzunehmender Konkurrent für Adams (der uns momentan aus anderen Gründen seine Form nicht präsentieren kann) geworden ist, hat er mit dem herausragenden „Singing Saw“ (Vergleiche sogar mit Bob Dylan waren für mich unvermeidlich) im Jahr 2016 bewiesen, auch „City Music“ ein Jahr später zeugte noch immer von seiner Songwriter-Klasse.

Kevin Morby setzt auf Piano und Saxophon

Kevin Morby Oh My God Cover Dead Oceans

Auf „Oh My God“ zeigt der 31-jährige Morby nun endgültig, was in ihm steckt. Thematisch setzt sich Morby auf den dreizehn neuen Songs (und einem Gewittersturm) des Doppel-Albums mit den Facetten der Religiosität im spirituellen und weltlichen Sinne auseinander. Musikalisch setzt er auf reichlich Piano, Saxophon und erhebende Chorgesänge. All dem begegnen wir schon im titelgebenden Opener, der dem geschmeidig-sehnsüchtig-melancholischen Saxophonspiel zu einem erfreulichen Comeback verhilft. Stürmisches Handclapping eröffnet „No Halo“, das mit Flöten aufwartet und den Chorgesang ins Feierliche hebt. Gospelartige Backing Vocals, trockene Perkussion, ein sanftes Saxophon sowie Morbys mantraartige Stimme versetzen einen in „Nothing Sacred / All Things Wild“ in Trance, während er in „OMG Rock’n’Roll“ einen euphorischen, wirbelnden T.Rex-Rhythmus findet, bevor am Ende die Chöre wieder „Oh my God“ und „Oh my Lord“ anstimmen.

Ein Erweckungserlebnis

Bei einem Konzept-Doppel-Album wartet man ja förmlich auf ein paar Ausfälle, aber Morby tut uns diesen Gefallen nicht, fordert die Hörer unablässig und verwöhnt uns mit einem störrischen Wilco-Gitarren-Solo in „Seven Devils“, einer wilden Orgel in „Hail Mary“ und Harfenklängen in „Piss River“. Keine Schwäche bis zum Schluss. „Congratulations“ mit Sixties-Girlgroup-Soul-Appel, charmanter Folk-Noir in „I Want To Be Clean“ und getragene, nonchalante Songwriter-Grandezza in „O Behold“. Die Musik von Kevin Morby hören, ist wie das Lesen der Bücher von James Baldwin: Ein Erweckungserlebnis. Ein wahnsinnig gutes Album.

„Oh My God“ von Kevin Morby ist am 26.04.2019 bei Dead Oceans / Cargo erschienen (Beitragsbild von Gérard Otremba).

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