Julian Barnes: Lebensstufen

Julian Barnes‘ literarische Trauerarbeit

von Gérard Otremba

Bevor Julian Barnes im dritten Kapitel seines neuen Buches Lebensstufen zum Kernthema, dem Tod seiner 2008 verstorbenen Frau, vordringt, erlaubt er sich eine Exkursion in längst vergangene Zeiten. Im ersten Kapitel beschäftigt sich der 69-jährige englische Autor mit den Ursprüngen der Ballonfahrt, den „Schwerer-als-Luft“-Flugmaschinen sowie der Photographie. Eine essayistischer Abenteuer-Abhandlung, die damalige Pioniere, Abenteurer, Schriftsteller, Wissenschaftler, Schauspieler und Bohemiens in Einklang bringt.

Zwei von ihnen spielen im nächsten Kapitel die Hauptrolle, die französische Schauspielerin Sarah Bernhardt sowie der britische Militär und Aeronaut Fred Burnaby, denen Julian Barnes eine Liebesgeschichte anhängt. Wahrheit und Dichtung gehen hier eine vortreffliche Symbiose ein und führen den Leser direkt ins dritte und letzte Kapitel. Natürlich wählt Barnes die Themen der ersten beiden Kapitel nicht grundlos. Mit dem Satz „Man bringt zwei Dinge zusammen, die vorher nicht zusammengebracht wurden, und die Welt hat sich verändert“ beginnt das Buch, die Variation „Man bringt zwei Dinge zusammen, die vorher nicht zusammen gebracht wurden; und manchmal funktioniert es, manchmal auch nicht“ eröffnet Abschnitt zwei und mit „Man bringt zwei Menschen zusammen, die vorher nicht zusammen gebracht wurden“ startet der dritte Akt von Lebensstufen.

Julian Barnes bereitet uns in der ersten Hälfte des Buches geschickt auf seine persönliche Verarbeitung des Todes seiner Frau vor. Er wählt feinsinnig austarierte Metaphern für die Liebe, bevor er mit der Trauerarbeit beginnt. Barnes‘ Ehefrau, die Literaturagentin Pat Kavanagh, starb im Jahre 2008, 37 Tage nach der Gehirntumordiagnose. Wer denkt, Julian Barnes suhle sich nun im Mitleid, der kennt den englischen Romancier schlecht. Selbstredend stehen die traurigen Befindlichkeiten des Autors im Vordergrund, doch bezieht er die Leserschaft durch Anekdoten aus seinem persönlichen Umfeld mit ein, erreicht gleichzeitig eine philosophische Ebene und gleitet wunderbar zwischen subjektiver Sicht und objektiver Perspektive. Ein tröstendes und hilfreiches Stück essayistischer Literatur für alle, die in eine ähnliche Situation wie Julian Barnes geraten sind und empfehlenswert für alle anderen ist das schmale Bändchen von 140 Seiten aufgrund der bekannten stilistischen Qualität Julian Barnes‘.

Julian Barnes: „Lebensstufen“, Kiepenheuer & Witsch, übersetzt von Gertraude Krueger, Hardcover, 978-3-462-04727-1, 16,99 €.

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