Juli Zeh: Unterleuten – Roman

Ein phänomenaler neuer Roman von Juli Zeh

von Gérard Otremba

Mit ihrem neuen Roman Unterleuten entwirft Juli Zeh ein grandioses Panoptikum unserer Zeit. Ein prachtvoller Gesellschaftsroman, ähnlich beeindruckend wie die Werke des zeitgenössischen amerikanischen Schriftstellers Jonathan Franzen. Bereits mit Spieltrieb hat Juli Zeh ihre Klasse und die Fähigkeit, den Nerv der Zeit zu treffen, gezeigt, mit Unterleuten verhält es sich nicht anders. Juli Zeh begibt sich in die Provinz, nach Unterleuten, einem fiktiven Dorf im brandenburgischen Landkreis Prignitz, unweit Berlins. Doch von dörflicher Idylle keine Spur, von Langeweile auf dem Land schon mal gar nicht, in Unterleuten gelten die Gesetze der Großstadt nicht minder.

Nachbarschaftskonflikte und alte Fehden aus DDR- und Wendezeiten prägen das Dorfgefüge und als eine Investmentfirma einen Windpark vor die Tore Unterleutens setzen will, verschärfen sich die Scharmützel  bis zur Eskalation. Unterleuten ist bevölkert von spleenigen Charakteren. Alteingesessene wie der kapitalistische Ökologica-Betreiber Gombrowski, für den fast alle Dorfbewohner arbeiten, und sein kommunistischer Widerpart Kron treffen auf zugezogene Berlin-Aussteiger wie den Soziologen Gerhard, der in der brandenburgischen Walachei als  Naturschützer einen neuen Lebensabschnitt beginnt, und seiner zwanzig Jahre jüngeren Frau Jule, die eine überproportionierte Fürsorgepflicht zu ihrer kleinen Tochter Sophie entwickelt und den Rauch-Angriffen von verbrannten Reifen ihres Nachbarn Schaller, einem willfährigen Handlanger Gombrowskis, ausgeliefert sind.

Ebenfalls neu im Dorf die Berlin-Exilanten Linda Franzen, eine straighte Egozentrikerin (eine sogenannte „Moverin“), die als Pferdeflüsterin arbeitet und mit aller Macht um die Genehmigung für den Umbau eines Nebengebäudes zum Wohle ihres Pferdes Bergamotte kämpft, sowie ihr Freund Frederik Wachs, ein Computer-Nerd und in seiner Persönlichkeit das krasse Gegenteil Lindas. Und dies sind nur die wichtigsten von den zahlreichen Protagonisten in Juli Zehs Roman Unterleuten. Zeitweise verliert man etwas den Überblick, doch zeigt die Vielzahl der handelnden Personen auch den Facettenreichtum dieses Buches. In Unterleuten ist man unter Leuten und es ist ein großer und leider nach 640 Seiten auch ein endlicher Spaß, die von Juli Zeh erfundenen Personenkonstellationen und  Ränkespiele zu verfolgen.

Die 1974 geborene und selbst in einem Dorf wohnende Juli Zeh kann schlicht und ergreifend eine gute Geschichte erzählen. Ihr Stil ist zwar durchaus als konventionell zu bezeichnen, doch ist Unterleuten überaus intelligent komponiert und flüssig geschrieben. Als auktoriale Erzählerin wechselt Juli Zeh mit den einzelnen Kapiteln die Perspektiven und nähert sich ihren wichtigen und komplexen Figuren durch die Innen- und Außensicht. Es muss nicht immer der bedeutungsschwere Großstadtroman sein, um gewichtige Fragen nach der Moral im 21. Jahrhundert zu stellen und um deutschen Zuständen nach der Vereinigung auf den Zahn zu fühlen. Es funktioniert auch mit einem Dorf-Roman sehr gut. Unterleuten hat die Epik eines Dostojewski, das Drama eines Shakespeare, bietet beste Unterhaltung  und ist für mich ein Top-Kandidat für den Deutschen Buchpreis, sofern dafür eingereicht. Ein überragender und famoser Roman.

Juli Zeh: „Unterleuten“, Luchterhand, Hardcover, 640 Seiten, 978-3-630-87487-6, 24,99 €.

Näheres zu diesem Roman gibt es auf der Homepage zu Unterleuten.

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