Juli Zehs kulturpessimistisches Szenario in einem flott zu lesenden dystopischen Politthriller
Deutschland in naher Zukunft. In der Post-Angela-Merkel-Ära regiert die Besorgte-Bürger-Bewegung mit der Kanzlerin Regula Freyer an der Spitze. Die Menschen haben ihre Prinzipien über Bord geworfen, ihre Ideale verloren und einer nationalistischen Partei an die Macht verholfen, die mit Effizienzpaketen zum Wohle der Bürger die Demokratie aushöhlt, aber Sicherheit und Überwachung hohe Priorität einräumt. Die Leute „leben ihr Leben und stecken die Köpfe in den Sand“, denn es geht ihnen gut, in die Politik mischen sie sich nicht ein. Britta Söldner lebt mit Mann und Kind in Braunschweig, „in einem sauberen Haus in einer sauberen Stadt und führt ein sauberes Unternehmen“.
Diese mit ihrem Geschäftspartner Babak Hamwi geführte Firma heißt „Die Brücke“, eine als therapeutische Praxis getarnte Vermittlungsstelle für Selbstmordattentäter. Aus diversen Internetselbstmordforen fischt ein Algorithmus potentielle Kandidaten, die ein zwölfstufiges Evaluierungsprogramm durchlaufen, zu dem u.a. ein Psychotest, Abschiedsbrief-Schreiben, Klinikaufenthalt und Waterboarding gehören. Wer nach diesem Prozess immer noch den Suizid will, wird an gemeinnützige oder Terrororganisationen weitergeleitet. Ein einträgliches Geschäft, zahlen sowohl die Abnehmer als auch zahlreiche Programmabbrecher gutes Geld. Da die Attentate kontrolliert mit überschaubarer Opferzahl über die Bühne gehen, bleibt „Die Brücke“ vom Staat unbehelligt. Ein schlampig ausgeführter Terrorakt am Leipziger Flughafen und das Auftauchen eines mysteriösen Investors, der sich als ihr Schutzengel vorstellt, bringen Britta Söldners Doppelleben, das von dem Hit des Jahres, „Empty Hearts“, begleitet wird, ins Wanken.
Die gleichnamige Organisation „Empty Hearts“ strebt mit einem Putschversuch die Wiederherstellung der Demokratie sowie die Installierung Angela Merkels als Kanzlerin an und Britta Söldner muss ihre Einstellung überprüfen und eine Entscheidung mit weitreichenden Konsequenzen fällen. In ihrem neuen Roman entwirft Juli Zeh ein kulturpessimistisches Szenario mit bekannten Ängsten um Europa und die Demokratie. Leere Herzen ist ein spannender, brisanter und flott zu lesender dystopischer Politthriller, der zwar hinter ihren Werken Spieltrieb und Unterleuten bleibt, aber immer noch beste Unterhaltung bietet und den Finger in offene gesellschaftliche Wunden legt. Juli Zeh bleibt eine wichtige Mahnerin in der deutschsprachigen Literatur.
Juli Zeh: „Leere Herzen“, Luchterhand, Hardcover, 352 Seiten, 978-3-630-87523-1, 20 €.