Jürgen Bauer: Styx

Jürgen Bauer credit Daniel Schönherr

Ein vortrefflicher Roman über Trauerverarbeitung, Einsamkeit und einen nicht ganz einfachen Neubeginn in Pandemiezeiten von Jürgen Bauer

von Gérard Otremba

Der Auftakt, ein Paukenschlag. Eine langgediente Opernsouffleuse verweigert ihren Job. Mitten in einer während der Corona-Pandemie digital übertragenen Aufführung lässt Madame Partitur, wie die Souffleuse von allen nur genannt wird, die Sopranistin auf der Bühne im Stich. Zunächst nur aus Versehen, weil sie schlicht vergessen hatte, ihr einen Satz vorzusagen, doch sofort danach in genussvoller Absicht. Ein Live-Eklat, wie er besser nicht hätte inszeniert werden können. Auf ein gefordertes Gespräch mit der noch recht neuen Intendantin im Opernhaus verzichtet Madame Partitur, Tochter einer Opernsängerin, zunächst und flüchtet in eine Hütte mit verwildertem Garten, ein Rückzugsort, früher besonders für ihren nunmehr verstorbenen Mann, der einst als Opernregisseur eine gewisse Berühmtheit erlangte.

Die Skepsis von Madame Partitur

Jürgen Bauer Styx Cover Septime Verlag

Bereits im bravourösen Beginn seines neuen Romans „Styx“ erheitert Jürgen Bauer, dessen Bücher „Was wir fürchten“, „Ein guter Mensch“ und „Portrait“ wir ebenfalls rezensiert haben, seine Leser. Denn so sehr Madame Partitur, aus deren Sicht Jürgen Bauer die Geschichte erzählt, ihre plötzliche Rebellenrolle für sich auskostet, so genussvoll lässt sich die Eingangspassage lesen. Und nicht nur diese. Im Prinzip verdankt Madame Partitur diesen boshaften Akt der noch nicht verarbeiteten Trauer um ihren toten Gatten sowie der veränderten Umstände durch die Corona-Pandemie.

Mit diesen kann sich die Mitt-Fünfzigerin nicht anfreunden. Die Isolation, die Distanz, die Aufführungen für virtuelle Besucher und die Folgen für die Oper: Madame Partitur sieht alles skeptisch und sehnt sich nach vergangenen, in ihren Augen besseren Zeiten („Das Theater und die Welt beherbergen die letzten Überlebenden, aber nichts ist mehr so, wie es früher einmal war, nicht wird je mehr so sein, wie ich es geliebt und gekannt habe.“).

Ein Hund namens „Hans Styx“

Durch die Pandemie gerät das Leben sowieso schon aus den Fugen, Madame Partitur setzt für sich noch einen drauf und provoziert ihre Beurlaubung. Symbolträchtig verknüpft Jürgen Bauer in seinem fünften im Septime Verlag veröffentlichten Roman das Innenleben seiner Hauptfigur mit den geänderten Lebensbedingungen. Das Durcheinander in Madame Partiturs Leben spiegelt sich nicht minder im ungepflegten Zustand des Gartens wider. Urplötzlich taucht indes ein Gärtner in ihrem Leben auf, der wieder Struktur in den wilden Garten bringt und auch Madame Partitur näher kommt. Nicht weniger unvermittelt stellt Jürgen Bauer seiner Protagonistin einen Hund gegen die Einsamkeit zur Seite, den Madame Partitur auf den Namen „Hans Styx“ aus der Operette „Orpheus in der Unterwelt“ tauft, die einst von ihrem Mann inszeniert worden war.

Jürgen Bauer und die Ode an das Leben

Passend zu Hardcore-Pandemiezeit reduziert Bauer seine Romanbelegschaft auf lediglich vier Hauptfiguren und unterteilt den Roman in vier, den Jahreszeiten Winter, Frühling, Sommer, Herbst entsprechenden Akten. Trotz unterschiedlicher Ansichten bezüglich der Oper, lässt die Intendantin Madame Partitur nicht fallen, die gemeinsamen Gespräche sind voller Esprit, Humor und Tiefe. Ein mit knapp 200 Seiten sehr kurzer, aber vortrefflicher und intensiver Roman über Trauerverarbeitung, Schuldgefühle, Einsamkeit und einen nicht ganz einfachen Neubeginn in Pandemiezeiten. Von Jürgen Bauer nonchalant und mit viel Charme erzählt. Gleichzeitig eine Verbeugung vor der Oper und der Natur sowie eine Ode an das Leben in seiner ganzen Vielfalt. Ein prächtiges Lesevergnügen und die perfekte Lektüre für eine hoffentlich sonnenüberflutete Frühlings- und Sommerzeit. 

Jürgen Bauer: „Styx“, Septime Verlag, Hardcover, 192 Seiten, 978-3-99120-033-8, 24 Euro. (Beitragsbild von Daniel Schönherr) 

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