John Lanchester: Die Mauer – Roman

John Lanchester credit Marijan Murat

Eine desillusionierende und unheilvolle Zukunftsvision von John Lanchester

In John Lanchesters neuem Roman ist es bereits zu spät. Die ältere Generation hat der jüngeren eine Zeit nach dem „Wandel“ beschert, die Klimakatastrophe ist längst Realität, der Meeresspiegel um ein Vielfaches gestiegen. England schottet sich ab. Um Großbritannien verläuft eine riesige Mauer, die „Nationale Küstenverteidigungsbefestigung“, die die Insel von Neuankömmlingen schützen soll. „Andere“ werden sie von den Einheimischen lapidar genannt. Sie sind nicht die Art uns bekannter Flüchtlinge. Die „Anderen“ haben ein Verzweiflungsstadium erreicht, das sie zu einem bewaffneten Kampf zur Überwindung der Mauer zwingt.

Der Dienst auf der Mauer

John Lanchester Die Mauer Cover Klett-Cotta

Auf der Mauer leisten junge Menschen einen zweijährigen Dienst als Verteidiger, einer von ihnen heißt Joseph Kavanagh, aus dessen Perspektive John Lanchester die Geschichte erzählt. Ein hartes Los für alle Verteidiger, denn sollten „Andere“ es ins Landesinnere schaffen, droht die Verbannung aufs Meer. Ohne einen Identitäts-Chip sind die „Anderen“ indes schnell eingefangen und werden vor die Wahl gestellt, entweder eingeschläfert, zurück aufs Meer geschickt zu werden oder als „Dienstlinge“, also Sklaven, weiterleben zu dürfen. Just als sich Joseph und seine Mitverteidigerin Hifa dazu entschlossen haben, ihre Existenz als „Fortpflanzler“ (die Menschen in Lanchesters Zukunftsvision möchten sich kaum mehr vermehren, „weil die Welt so ein schrecklicher Ort ist.“) zu sichern und die Mauer frühzeitig mit einigen Annehmlichkeiten verlassen zu können, verdichten sich die Gerüchte um baldige schwere Angriffe auf die Mauer, die angeblich unter Mithilfe von Sympathisanten aus dem eigenen Volk stattfinden sollen.

John Lanchester hat einen bestechenden Roman am Puls der Zeit geschrieben

Klimawandel, Flüchtlingskrise, nationale Alleingänge, Brexit und der Überlebenskampf in einer erkalteten Welt. Der in Hamburg geborene, britische Schriftsteller denkt in seinem neuen Roman wichtige aktuelle Probleme konsequent zu Ende und zeichnet eine desillusionierende, unheilvolle Zukunft. John Lanchester bevorzugt einen sehr nüchternen Stil und findet die richtigen Worte, um Hoffnungen, Ängste, Frustrationen und Verrat zum Ausdruck zu bringen. Ein bestechender Roman am Puls der Zeit.

John Lanchester: „Die Mauer“, Klett-Cotta, aus dem Englischen von Dorothee Merkel, Hardcover, 348 Seiten, 978-3-608-96391-5, 24 Euro (Beitragsbild von Marijan Murat)

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