Die Einsamkeit in Iowa
John Darnielle, in Musikkreisen als kreativer Kopf der Indie-Band The Mountain Goats bekannt geworden, knüpft in Rekorder, seinem zweiten Roman nach Wolf In White Van (nominiert für den National Book Award), an einige seiner Songs an, in denen er sich bereits mit den Themen Gewalt, Entfremdung, Vereinsamung und der Flucht aus der Wirklichkeit auseinandergesetzt hat. In Rekorder behandelt er diese Sujets in subtiler, offensichtlicher und verstörender Art. In Nevada, einer Kleinstadt mitten in Iowa, arbeitet Jeremy Ende der 90er-Jahre in einer Videothek. Nach und nach tauchen VHS-Kassetten mit eingeschnittenen, angsteinjagenden Szenen eines wohl eingesperrten, gefesselten Menschen, dessen Kopf in einem Stoffbeutel steckt, auf.
Jeremy, Anfang 20, der nach dem Unfalltod seiner Mutter ein einsames und ereignisloses Leben mit seinem Vater führt, lässt die Sache zunächst auf sich beruhen, bevor er sich gemeinsam mit einer Kundin auf Spurensuche begibt. Gleichzeitig will seine Chefin die im Filmausschnitt gezeigte Scheune wiedererkannt haben und forscht ihrerseits, unter Verschwiegenheit Jeremy gegenüber, auf eigene Faust nach. John Darnielle schreibt zwar zu Beginn des Romans Suspense-artige Passagen, die beklemmende Eindrücke guter David Lynch-Filme hinterlassen, auf einen Thriller im klassischen Sinn muss sich die Leserschaft indes gar nicht erst einrichten, weder hat der Autor jenes im Sinn noch wirbt der Verlag mit diesem Genre. Das Innenleben seiner Figuren und die Beschreibungen von Iowas Landschaften sind Darnielle mindestens genauso wichtig, wie die Auflösung der geheimnisvollen und erschütternden Videobotschaften.
Dabei schlägt John Danielle immer wieder unkonventionelle Wege ein, sein auktorialer Erzähler überdenkt häufig mögliche andere Varianten oder Richtungen des Plots, die selbstverständlich nicht alle aufgelöst werden. Was Darnielles Protagonisten eint, ist die Erfahrung des Verlustes nahestehender Personen, die verschwinden oder sterben, sei es durch religiöse Verblendung oder radikaler Schicksalsschläge. Die Verarbeitung der daraus resultierenden Enttäuschung und Isolation begegnet Darnielle mit Diskretion, Zurückhaltung und Empathie, ohne alles im Detail zu erklären. Trotzdem findet er die richtigen Worte, um das Leben mit dem Unfassbaren und Unheimlichen im Mittleren Westen der USA wirkungsvoll in Szene zu setzen. Ein aus der Zeit gefallener, irritierender, nachdenklich stimmender, unterschwelliger, trotz einfacher Sprache komplexer Roman.
John Darnielle: „Rekorder“, Eichborn Verlag, aus dem Amerikanischen von Tobias Schnettler, Hardcover, 280 Seiten, 978-3-8479-0029-0, 20 € (Beitragsbild: Buchcover).