Stilistisch vielfältig und mit zahlreichen wunderprächtigen Songs verzückt Jochen Distelmeyer auf seinem neuen Album „Gefühlte Wahrheiten“
Und dann sind tatsächlich dreizehn Jahre bis zu einem Album mit neuen Songs von Jochen Distelmeyer vergangen. Okay, es gab in der Zwischenzeit ein Coveralbum („Songs From The Botton, Vol. 1“, 2016), eine von Distelmeyer zusammengestellte Compilation („Coming Home“, 2019), den passablen, von uns an dieser Stelle rezensierte Roman „Otis“, und – wichtiger noch – Konzerte von Blumfeld. 2014 auf der „L’état et moi“-Jubiläumstour und beim Rolling Stone Beach Festival im vorigen Jahr (Sounds & Books berichtete). Alles schön und gut, besonders die Blumfeld-Konzerte, aber letztendlich zählen nur neue eigene Songs.
Jochen Distelmeyer in Bob-Dylan-Manier
Und dann erschien Ende April die von uns als Song des Tages vorgestellte Vorabsingle „Ich sing für dich“ und sofort stellte sich das vertraute Distelmeyer-Gefühl ein. Auf das in bester Bob-Dylan-Manier gehaltene, trostspendende Lied für alle gesellschaftlich Abgehängten samt sanfter Bläser muss man lange warten, ist es doch an letzter Stelle des Albums platziert. Doch die Zeit bis zum Albumcloser von „Gefühlte Wahrheiten“ hat Jochen Distelmeyer sehr gut ausgefüllt. In meiner Review zur aktuellen Jetzt!-Platte „Können Lieder Freunde sein?“ schrieb ich, dass sich darauf zwölf der schönsten deutschsprachigen Lieder dieses Jahres befänden. Jochen Distelmeyer erweitert diese Liste um einige weitere, großartige Tracks.
Songwriter-Pop auf allerhöchstem Niveau
Bereits der Slowmotion-Soul des Openers „Komm (So nah wie du kannst)“ gehört dazu, aber noch viel wunderbarer wird es im anschließenden „Zurück zu mir“, das ist Songwriter-Pop auf allerhöchstem Niveau zwischen Elton John und Billy Joel. Aber eben immer Jochen Distelmeyer, der von einer langen Odyssee und der Rückkehr zu sich selbst singt. Und ein Frauenchor übernimmt gar den Part des Zwiegesprächs mit seinen eigenen Gedanken. Und ein so wunderschönes, getragenes Liebeslied samt Gitarrensolo am Ende wie „Nur der Mond“ hat man schon lange nicht mehr gehört. Gut, die drei englischsprachigen Songs fallen vielleicht etwas ab, aber Distelmeyer schenkt uns den bewegenden Blues „Manchmal“, in dem er über seine Gefühle für seine „neue“ Heimatstadt Berlin singt. Und er schenkt uns das elfeinhalbminütige, ergreifende „Nicht einsam genug“. Bob-Dylan-Extraklasse. Songwriter-Pop, Soul, R&B, Country, Folk, Blues und Eighties-Pop, Jochen Distelmeyer beherrscht die Stilvielfalt meisterlich. Ein großartiges Album.
„Gefühlte Wahrheiten“ von Jochen Distelmeyer erscheint am 01.07.2022 bei Four Music / Sony Music. (Beitragsbild von Sven Sindt)
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