Jakob Hein: Kaltes Wasser – Roman

Das Geheimnis des Erfolgs: Als Hochstapler durch die Berliner Nachwendezeit

von Gérard Otremba

Friedrich Bender ist ein durchtriebener Schlawiner. Der Protagonist von Jakob Heins neuem Roman Kaltes Wasser durchschaut die Lücken im System und macht sie sich zu eigen. Nach der Wende 1989/90 entfernt sich der im Osten aufgewachsene Bender mit rasanter Geschwindigkeit von seiner Vergangenheit und erliegt den Reizen des Kapitalismus.

Die Vorstellung, allein durch Cleverness und ohne richtige Arbeit Geld verdienen zu können, fand ich äußerst attraktiv. Ich war in einer Welt aufgewachsen, in der eine Art protestantisch gefärbter Proletkult geherrscht hatte, uns Schülern wurde suggeriert, dass man sein Geld nur im Schweiße seines Angesichts verdienen konnte. Das hier war glasklar besser.“

Friedrich Bender klaut seinen Eltern, einem entlassenen Marxismus-Leninismus-Professor und einer ehemaligen VEB-Kaderleiterin, die sich in der neuen Welt nicht zurechtfinden und in den Augen ihres Sohnes zu „Kaninchen in einer Schlangenfarm geworden“ sind, die letzten ersparten 2000 Ostmark, die ihm als Starthilfe für dubiose und illegale, von niemandem überwachte Wechselgeschäfte am Berliner Bahnhof Zoo dienen. Sehr schnell lernt er im kalten Wasser schwimmen und scheffelt viel Geld, in der Zwischenzeit sein einziger Antrieb, denn auch in der Folgezeit versucht er mit einem ausgeklügelten Minimalprinzip den maximal möglichen Gewinn zu erzielen.

Seine aus einem ehemaligen NVA-Bus hergerichtete Kneipe am Prenzlauer Berg erweist sich als nächster finanzieller Volltreffer und auch Friedrichs Erfolg bei Frauen steigt zunehmend. Sein BWL-Studium versucht er in zwei Semestern abzuschließen, seine Zeit im Aushilfsjob bei einem großen Versicherungsunternehmen verbringt er zumeist lesend auf der Toilette und erfreut sich trotzdem allergrößter Beliebtheit. Friedrich Benders Erfolg ist die Hochstapelei, die er als Kuppler von Reichen in einer von ihm gegründeten Partnervermittlungsagentur auf die Spitze treibt. Spätestens jetzt taucht er in die Welt des Scheins ein und kostet seinen Ruhm im Bad der Berliner High Society aus. Letztendlich fliegt ihm sein erbautes Konstrukt aus Lügengeschichten und erfundenen Identitäten (die Kunst der Verstellung lernte er bereits als Schüler in der DDR, wo er als Agitator seiner Klasse die Partei-Nachrichten kreativ bearbeitete und sein Privatleben mit einer Punker-Freundin aus Bristol interessanter machte) um die Ohren, als einziger Ausweg bleibt ihm die Flucht in ein neues Leben nach Schweden.

Trotz all seiner Durchtriebenheit bleibt Friedrich Bender eine sympathische Figur. Jakob Hein und seine Leser lachen nicht über, sondern mit ihm, denn Kaltes Wasser ist ein amüsanter, witziger und kluger Schelmen- und Gesellschaftsroman, mit dem der 44-jährige, in der DDR geborene Schriftsteller und Kinderpsychologe die Auswüchse der kapitalistischen Wirtschaftsform am Beispiel der Aufbruchsstimmung in den boomenden 90er Jahren entlarvt.

Jakob Hein „Kaltes Wasser“, Galiani Berlin, Hardcover, 240 Seiten, 978-3-86971-125-6, 18,99 €. 

Kommentar schreiben