Interview mit der Hamburger Autorin Katrin Seddig

Der Zufall als spielerische Art zu leben
Aufgezeichnet von Gérard Otremba, Beitragsfoto von Maximilian Buddenbohm

Im Fühjahr erschien Katrin Seddigs dritter Roman Eine Nacht und alles im Verlag Rowohlt Berlin. Über das Buch, ihre Lieblingstadt, den Zufall und die Schwierigkeit, einen Roman zu schreiben, unterhielt ich mich mit der in Hamburg lebenden Schriftstellerin.

In Deinem neuen Roman „Eine Nacht und alles“ kommt die Stadt Hannover aus der Sicht der 17-jährigen Protagonistin Yasemine nicht wirklich gut weg. Spielten eigene Erfahrungen mit Niedersachsens Hauptstadt eine Rolle, oder wer hat sich bei Dir über Hannover beschwert?

Nein, ich war noch nicht in Hannover, ich kann nichts Schlechtes über Hannover sagen. Ich denke, dass das Mädchen sich einfach nicht wohlfühlt aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen mit ihrer Heimat und dann spielt es keine Rolle, welche Stadt es ist, dann hat man immer was dagegen. Sie ist ja noch nie aus Hannover weggekommen und sie begründet es letztlich auch nicht.

Hast Du eine Lieblingsstadt?

Ja, schon Hamburg, vielleicht noch Berlin.

Was fasziniert Dich an Hamburg?

Hamburg ist noch groß genug, um hier leben zu können. In einer Kleinstadt könnte ich nicht leben. Meine Freunde wohnen hier. Ich fühle mich hier schon wohl, auch mit den kitschigen Sachen wie Alster und Elbe. Hamburg ist vielleicht nicht so urban wie Berlin, für jüngere Menschen ist das sicherlich attraktiver, aber man kann hier noch genug erleben, obwohl ich schon das Gefühl habe, dass in Hamburg nicht mehr so viel passiert.

Wieso denkst Du das?

Vielleicht ist die Stadt zu klein, zu sortiert, zu schön, zu reich, zu wohlhabend. Ich weiß nicht, wieso das so ist, aber ich sehe nicht, dass sich hier neue Szenen entwickeln. Es gibt zu wenige Nischen, alles bewohnt und bebaut und vermietet. Wo sollen die Leute denn noch hingehen?

Zurück zu Deinem neuen Roman. Irene, die 43-jährige Protagonistin, beginnt eine Affäre und steht zwischen Ehemann und Liebhaber. Außerdem entfremdet sich ihre 17-jährige Tochter von ihr, während sie zu der gleichaltrigen Yasemine Muttergefühle entwickelt. Gleichzeitig begegnet sie nach 30 Jahren einem Kindheitsfreund und das alles in einem sehr kurzen Zeitraum. Mutest Du Deiner Hauptfigur nicht zu viel zu?

Es sind vielleicht viele Handlungsstränge, aber das sind ja alles nicht so wirklich dramatische Begebenheiten, es kommt ja keiner um oder wird schwer krank. In dem Moment, in dem man sich anders verhält und aus dem normalen Alltag ausbricht, stoßen einem auch mehr Sachen zu. Und dann ist man auch offener für andere Leute, wie sie dann für Yasemine in der Situation offen war.

Du hast im Jahr 2010 Deinen ersten Roman Runterkommen geschrieben, da warst Du 41 Jahre alt. Was hat Dich so lange aufgehalten?

Ach, den hatte ich doch schon vorher geschrieben. Das ist aber auch eine gemeine Frage (lacht herzlich)!

Ja, dafür sind dann Interviews manchmal da. Ich hoffe, sie ist nicht zu gemein.

Nein, ich hatte keinen richtigen Plan. Ich hatte ja schon so viel studiert und gearbeitet und das war eine Idee, was man noch man könnte, ohne Kapital. Ohne viel zu investieren, außer Zeit. Und wenn es nichts geworden wäre, dann wäre es nichts geworden.

Aber es ist ja was geworden.

Ja.

Wie war das damalige Gefühl, das erste eigene Hardcoverbuch in den Händen zu halten?

Ach, ich bin da nicht so euphorisch. Natürlich ist es schön, aber ich kann nicht sagen, dass ich so richtig glücklich war. Ich bin nie richtig glücklich und zufrieden mit meinen Sachen. Das Gefühl, dass einige Dinge am Roman nicht stimmen, oder ich etwas anders hätte machen können, das habe ich eigentlich immer.

Liest Du Kritiken, egal ob positiver oder negativer Art, und wie gehst Du mit ihnen um?

Ja, man bekommt die Besprechungen vom Verlag geschickt und ich lese sie auch. Ich freue mich natürlich über eine gute Kritik. Ich habe jetzt noch nicht so viele negative Kritiken bekommen. Aber ich versuche zu verstehen, was derjenige sagt. Ob es vielleicht stimmt, dann kann man damit etwas anfangen. Aber es macht mich nicht fertig, ich kann damit leben.

Vervollständige doch mal den Satz“ Eine Nacht und alles…“

Der Titel kommt nicht von mir, sondern vom Verlag (Rowohlt Berlin, die Red.). Das ist doch gar kein richtiger Satzanfang. Wie soll ich den vervollständigen? „…und alles ändert sich“ vielleicht? Aber wie gesagt, der Titel ist nicht von mir.

Du hattest einen anderen Titel?

Ja, „Löcher“. Wollte der Verlag aber nicht. Dann soll man andere Vorschläge bringen, habe ich aber nicht gemacht, stur wie ich manchmal bin. Und irgendwann hat der Verlag das dann so gemacht und zusammen mit dem Cover kann ich sehr gut damit leben.

Wodurch lässt sich Katrin Seddig inspirieren?

Ich denke, am meisten durch mein unmittelbares Lebensumfeld. Durch meine Freunde und durch das, was mir passiert. Ich schreibe schon über die Szene, in der ich lebe, über das Alter, über das Umfeld, über Hamburg. Mir fällt es schwer, woanders hinzugehen und dort von außen zu sehen, wie das da ist, also wieso nicht darüber schreiben, was man kennt?

Finden sich viele Deiner Freunde in den Romanen wieder?

Nein, ich übernehme nur Details und nicht die Menschen als Ganzes. Aber in meinen autobiographischen Kurzgeschichten können sich die Leute oft wiederfinden, weil die Geschichten so passiert sind, wie ich sie erzähle.

Womit beschäftigst Du Dich, wenn Du nicht schreibst oder nicht liest? Jedenfalls vermute ich, dass Du viel liest.

Ja, ich lese sehr viel, ich sehe auch gerne Filme und ich laufe. Und ich gehe momentan auch viel aus. Ich gehe nicht ins Theater. Ich gehe in Konzerte und in Ausstellungen, aber aus welchen Gründen auch immer nicht ins Theater.

Was liest Du gerne?

Mein Lieblingsautor ist John Updike, aber von dem habe ich schon alles gelesen und da kommt ja jetzt nichts mehr. Die „Rabbit“-Romane sind großartig, aber auch die Kurzgeschichten sind wirklich toll. Prinzipiell lese ich gerne Familiengeschichten, Entwicklungsromane, viele Klassiker. Mich interessiert am Roman weniger die Handlung, als das Setting, die Figuren und die Atmosphäre. Das begeistert mich an Texten.

Wie liest Du? Klassisch ein Buch, oder auch E-Reader?

Ich habe keinen E-Reader. Ich will das nicht ablehnen, aber ich habe noch so viele Bücher, die ich lesen möchte. Ich sitze den ganzen Tag am Bildschirm, dann muss ich dort nicht auch noch Bücher lesen.

Wird das Leben Deiner Ansicht nach von Zufällen geprägt, oder ist es Schicksal?

Doch eher von Zufällen. Ich finde den Zufall sehr sympathisch. Schicksal ist etwas Düsteres und verhindert eine Entscheidung. Schicksal ist zum Beispiel eine Krankheit, an der man stirbt. Da kann man dann nichts machen, außer man kann entscheiden, wie man damit umgeht. Es gibt ja Menschen, die sind von Zufällen gar nicht betroffen, weil sie die nicht als Ereignis annehmen. Und es gibt Menschen, die sind dem Zufall positiv gegenüber eingestellt, die den als etwas Neues begreifen und schauen, was man damit machen kann, wie man seinen Weg ändern kann, manche Leute sind darauf aus, auszuscheren und manche gehen stur weiter und sind nur genervt von allem, was kommt. Ich finde, Zufall ist eine gute Sache. Eine spielerische Art zu leben.

Wenn Du drei Wünsche frei hättest, welche wären das?

Na, Frieden, Gesundheit, Liebe.

Welchen Rat würdest Du Nachwuchsautoren geben?

Sie sollten sich mit anderen Autoren und anderen Leuten austauschen und streng sein. Sich an anderen reiben, kritisch sein und nicht aufgeben und nach vorne schauen. Ich denke, dass kreative Menschen oft schlecht mit Kritik umgehen können, aber das ist nicht hilfreich.

Ist es jetzt einfacher für Dich Romane zu schreiben, als noch beim ersten?

Tatsächlich war es gar nicht so schwierig, den habe ich einfach geschrieben. Das Schwierigste ist, denke ich, nach 60 Seiten weiterzumachen und nicht zu denken, wer will das denn jemals lesen und willst du wirklich noch weitere 300 Seiten schreiben. Da ist es hilfreich, Leute um sich zu haben, die die Arbeit reflektieren. Das hatte ich damals zwar nicht, aber ich habe trotzdem weiter gemacht. Den Anfang schreiben viele, aber das Weitermachen ist das Entscheidende.

Wie informierst Du Dich über das Zeitgeschehen?

Über Zeitungen und viel über das Internet. Fernsehen schaue ich kaum.

Gibt es schon eine Idee für den nächsten Roman?

Ich habe noch eine Novelle geschrieben, die liegt beim Verlag. Und ja, ich schreibe am nächsten Roman. Es ist eine Dorfgeschichte. Das Dorf als Thema interessiert mich. Ich habe mich mit der Rolle des Dorfes in der Theorie beschäftigt und mal sehen, wie die Umsetzung ausfällt.

Dann gutes Gelingen dabei und vielen Dank für das Gespräch!  

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