Eine aufwühlende Dystopie des Messer-Sängers Hendrik Otremba
Keine schöne neue Welt, in die uns Hendrik Otremba führt. In seinem Debütroman Über uns der Schaum beschreibt der Sänger und Texter der Indie-Post-Punk-Band Messer ein düsteres Zukunftsszenario. In einer nicht näher benannten Stadt herrschen Gewalt, Brutalität, die Droge Portobin und die Angst vor dem schweren, sprich vergifteten Regen. Im Mittelpunkt dieses dystopischen Romans samt Krimihandlung steht der Detektiv Joseph Weynberg, der vom reichen und totkranken Unternehmer Gustav Lang den Auftrag erhält, Maude Anandin ausfindig zu machen, zu beschatten und an ihn auszuliefern. Maude, die an zwielichtige Typen gerät, ähnelt Weynbergs verstorbener großer Liebe Hedy aufs Haar, so dass er schnell eine obsessive Bindung zu ihr aufbaut und sie vor dem drohenden Tod rettet, indem er andere Menschen tötet.
Was bleibt, ist die Flucht. Die gemeinsame Flucht mit Maude in Richtung Osten, in die Glückseligkeit verheißende Stadt Neu-Qingdao, verfolgt von Langs Männern und Rächern eines der Todesopfer Weynbergs. Auf ihrem Weg in eine bessere Zukunft überqueren die beiden zahlreiche Straßen der Trostlosigkeit, der Ort Auschwitz wird erwähnt, der in Weynberg nur noch eine marginale, nicht identifizierbare Erinnerung hervorruft und in Neu-Qingdao wartet Hoffnung und ein Showdown. Hendrik Otremba, nicht nur als Sänger von Messer bekannt, sondern auch als bildender Künstler, Journalist und Dozent an der FH Münster tätig, spielt in seinem Roman Über uns der Schaum facettenreich mit den Genres Science-Fiction und Hardboiled-Krimi und setzt dabei auf eine Film-Noir-Atmosphäre, die an „Blade Runner“ oder „Sin City“ erinnert.
Mit dem Einsatz der teilweise wie Crack oder Heroin wirkenden Droge Portobin versetzt er Weynberg in surreale und abgründige Traumwelten, begleitet in kurzen Zwischenkapiteln einzelne Personen mit letzten, aus der jeweiligen Ich-Perspektive erzählten Worten in den Tod und wer das letzte Messer-Album Jalousie kennt, wird Motive und Bilder wiedererkennen. Auch Sprachstil- und Rhythmus erinnern an das Album, die Grenzen von Otrembas Kunstformen verwischen, überlappen, ergänzen sich und gedeihen in Über uns der Schaum zur vollen Blüte. Harter, manchmal irritierender Stoff, kunstfertig und kunstsinnig, aber nicht der Kunst willen geschrieben. Ein packender und aufwühlender, von überraschenden Tempowechseln lebender Roman, der in Zukunft schaut und die Gegenwart im Blick behält.
Hendrik Otremba: „Über uns der Schaum“, Verbrecher Verlag, Hardcover, 280 Seiten, 978-3-95732-234-0, 22 €.